IFRS 17: Bilanzielle Herausforderungen für Versicherungsverträge

Photo by Vicky Tao on Unsplash, downloaded on 16 March 2020.

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Ab dem Geschäftsjahr 2023 werden umfassende Neuerungen hinsichtlich der Bilanzierung von Versicherungsverträgen in Kraft treten. Der von dem IASB vorgestellte IFRS 17 löst damit den seit 2004 gültigen IFRS 4 ab. Damit wird zum ersten Mal ein international anwendbarer Standard zur Bilanzierung von Versicherungsverträgen geschaffen, der eine Vergleichbarkeit zwischen verschiedenen Unternehmen ermöglicht.

Die Einführung von IFRS 17 hat weitreichende Auswirkungen auf die operationalen Tätigkeiten und die IT-Infrastruktur. Für die bilanzierenden Unternehmen ist die Umsetzung des Standards nach Solvency II das nächste große Thema in der Versicherungsbranche. Mit diesem Artikel geben wir einen Einblick in die Notwendigkeit der Neuregelung sowie die inhaltlichen Kernkomponenten des Standards.

Notwendigkeit der Überarbeitung von IFRS 4

Seit Ende der 90er Jahre diskutiert das IASB über eine verpflichtende Regelung zur Bilanzierung von Versicherungsverträgen. Mit Beginn der Anwendungspflicht der IFRS für kapitalmarktorientierte Unternehmen wurde IFRS 4 als Phase 1 für den Prozess der Erarbeitung von Bilanzierungsvorschriften für Versicherungsverträge im Jahr 2004 verpflichtend. Dieser gilt bis zum Inkrafttreten des neuen Standards IFRS 17 als Übergangslösung und ermöglicht den Unternehmen weitestgehend die nationalen Bilanzierungsrichtlinien für Versicherungsverträge fortzuführen.
Allerdings resultiert dies in unterschiedlichen Bewertungsmethoden und Auslegungen von Definitionen sowie Interpretationsspielräumen. Nicht zuletzt führt dies dazu, dass ähnlich strukturierte Finanzinstrumente mit Versicherungsanteil auf zwei unterschiedliche Arten bilanziert werden können. So bilanziert der Allianz-Konzern gemäß US-GAAP, der WÜRTLEBEN-Konzern hingegen nach HGB. Um dennoch eine Vergleichbarkeit zwischen Unternehmen zu schaffen, regelt IFRS 4 die verpflichtenden Angaben diverser Kennzahlen im Anhang.

Diese Maßnahmen führen jedoch zu keiner klaren Bilanz- bzw. Gewinn und Verlust-Struktur – ein Nachteil, den der neue Standard beheben soll.

Diese Gründe veranlassten das IASB zur Erstellung eines gemeinsamen Standards, welcher nicht nur verbindliche Definitionen (u.a. von Versicherungsverträgen) liefert, sondern auch die Bewertungsmethoden vorschreibt. Beispielweise bewerten Unternehmen die ausgegebenen Versicherungsverträge im alten Standard anhand der Diskontierung mit der erwarteten Rendite der im Portfolio befindlichen Vermögenswerte. Diese Berechnungsmethode verzerrt das Bewertungsergebnis, da Versicherungsvertrag und Vermögensgegenstand aus ökonomischer Sicht voneinander losgelöst sind. Außerdem ist in der Regel die Duration der Finanzinstrumente nicht identisch, was zu einer zusätzlichen Verzerrung führt. Unter IFRS 17 werden die Verträge hingegen anhand einer ihrer erwarteten cashflowähnlichen Diskontierungskurve bewertet.

Anwendungszeitpunkt

Die Anwendungspflicht des IFRS 17 wurde am 17.März 2020 von dem IASB erneut verschoben und beginnt nun zum Geschäftsjahr 2023. Zu beachten ist, dass das Endorsement noch aussteht. Als Folge der EFRAG-Kommentierung des Exposure Drafts ED/2019/4 Amendments to IFRS 17 sind noch Änderungen an den Bilanzierungsrichtlinien möglich. Eine zeitnahe Übernahme in EU-Recht ist zu befürworten, sodass Unternehmen frühzeitig ihre IFRS 17 Konzeption final umsetzen können.

Allein der benötigte Zeitraum für die Erarbeitung eines allgemeingültigen Bilanzierungsstandards für Versicherungsverträge zeigt die Dimension und Wirkungskraft für Unternehmen. Insbesondere verlängert sich für Versicherungsunternehmen auch die Ausnahmefrist für das Inkrafttreten von IFRS 9, dem Standard für die Bilanzierung von Finanzinstrumenten. Der Entscheidung zur Verlängerung der Übergangsfrist sind zahlreiche Diskussionsrunden und Kommentierungen zu IFRS 17 bei dem IASB vorausgegangen. Das IASB begründet seine Entscheidung zum Zeitpunkt der erstmaligen Anwendung unter anderem aufgrund der andernfalls entstehenden Mehrkosten durch Projekte bei der zeitlich verlagerten Einführung von zwei Standards. Zudem ist ein gleichzeitiger Beginn sinnvoll (und zugleich im Standard festgelegt), da IFRS 17 z.B. hinsichtlich eingebetteter Derivate eine Abspaltung von Optionen fordert, welche dann unter den Geltungsbereich von IFRS 9 fallen.

Die Verschiebung der Einführung von IFRS 17 kam für den Anwenderkreis nicht unerwartet und stieß auf gemischte Reaktionen. Einerseits ermöglicht es den Unternehmen einen größeren Handlungsspielraum, der für tiefgreifendere Analyse der bestehenden IT-Struktur und notwendiger Umstrukturierungen genutzt werden kann, um die Datenaggregation und -aufbereitung gemäß den Vorschriften sicherzustellen. Andererseits laufen speziell bei den größten Versicherungsunternehmen die entsprechenden Projekte bereits seit mehreren Jahren und wollen nahtlos zum Ende gebracht bzw. der Linientätigkeit übergeben werden.

Empfehlenswert bei der Entwicklung der IT-Architektur ist die Wahl eines flexiblen und adaptiven Datenmanagement-Modells. Die mitunter notwendigen Anpassungen an Änderungen des IFRS 17 sind dadurch kostengünstig und kurzfristig umzusetzen.

Anwenderkreis umfasst nicht nur Versicherungen

Der neue Standard bezieht sich explizit auf die Bilanzierung von Versicherungsverträgen und ist damit produkt- und nicht branchenspezifisch. Dadurch ist es möglich, dass IFRS 17 auch für Nichtversicherungsunternehmen Anwendung finden kann. Eine vorherige Analyse der Geschäftsaktivitäten und abgeschlossenen Verträge ist daher unabdingbar. Dafür müssen die Unternehmen sich eingehend mit der Definition des Versicherungsvertrages im Sinne des IFRS 17 befassen, um relevante Produkte oder einzelne Bestandteile zu identifizieren. Die Portfolioanalyse ermöglicht eine Eingruppierung abgeschlossener Verträge in Kategorien IFRS 9, IFRS 15 (Erlöse aus Verträgen mit Kunden) und IFRS 17.

Die meisten Versicherungsunternehmen, die zwischen einer Bilanzierung nach HGB und einer Bilanzierung nach IFRS wählen können, entscheiden sich bislang gegen den neuen Standard und vermeiden auf diese Weise umfangreiche Anpassungen der Prozess- und IT-Struktur, die aufgrund einer regelmäßigen Neu-Evaluierung bestehender Versicherungsverträge zu jedem Stichtag notwendig wären. Dies trifft vor allem für kleinere und mittelgroße Versicherungsunternehmen zu, die bereits das nationale Reporting sowie die Solvency II als Anforderungen bedienen müssen und mit dem IFRS-Reporting nicht noch eine dritte Säule aufsetzen wollen. Um dies zu vermeiden, wird bisweilen sogar das Börsensegment gewechselt.

Die ‚big player‘ der Branche hingegen können sich als börsennotierte Unternehmen einer modernen, internationalen Bilanzierungsvorschrift nicht entziehen. In Deutschland handelt es sich hierbei um die Allianz, Axa, Zurich Gruppe, Munich Re, Hannover Rück, Talanx, Generali und W&W.

Die Bilanzierung als Workflow-Modell

Der Standard umfasst analog zu IFRS 9 Bilanzierungsrichtlinien, welche sich an dem Lebenszyklus eines Versicherungsvertrages orientieren. Die Abschnitte sind dahingehend

  1. Definition von Versicherungsverträgen

  2. Gruppierung von Versicherungsverträgen als Portfolio und Separierung von Komponenten, welche nach anderen Standards bilanziert werden müssen

  3. Bewertung der Versicherungskomponenten nach dem Building Block Approach oder dem vereinfachten Bewertungsansatz

  4. Bilanzdarstellung bei Neuzugang und Neubewertung zum Stichtag

  5. Anhangsangaben

Dieser Ablauf kann als Workflow dargestellt werden. Zusätzlich liefert der Standard auch Vorschriften zur Bilanzierung von Rückversicherungsverträgen und Modifikationen.

Abbildung 1: Die Bilanzierung als Workflow-Modell

Was ist ein Versicherungsvertrag?

Einen Versicherungsvertrag definiert das IASB als einen Vertrag, durch den der Versicherer sich zur Übernahme eines signifikanten Versicherungsrisikos des Versicherungsnehmers verpflichtet.  Ein Versicherungsrisiko ist genau dann signifikant, wenn die zusätzlichen Zahlungsbeträge bezüglich eines versicherten Ereignisses des Versicherungsgebers signifikant sind. Der Standard liefert jedoch keine eindeutige Definition, was unter signifikanten Beträgen der zusätzlichen Zahlungen zu verstehen ist. Grundlage für die Beurteilung könnte daher der aufsichtsrechtliche Risikotransfertest sein. Wenn demnach das Produkt aus der Verlusthöhe einerseits und der Eintrittswahrscheinlichkeit für das versicherte Risiko andererseits mindestens 1% der erwarteten Prämiensumme beträgt, so liegt ein signifikantes Risiko vor. Der Signifikanztest ist entgegen der Bewertung auf Einzelvertragsebene durchzuführen. Dadurch ist es möglich, dass ein Versicherungsrisiko als signifikant eingestuft wird, obwohl nur mit geringer Wahrscheinlichkeit ein signifikanter Verlust auf Portfolioebene eintritt.

Die Herausforderung besteht vor allem in der Differenzierung der Finanzrisiken. Unter dieser Risikoklasse fallen z.B. Variablen wie Änderungen des Zinssatzes, Aktienkurses oder FX-Kurse.

Beispiel: Ein Landwirtschaftsbetrieb möchte seine potenziellen Einnahmen aus Ernteerträgen absichern. Dem Unternehmen liegen historische Daten vor, sodass eine Einschätzung der Erträge hinsichtlich des Wetters möglich ist. Auf dieser Grundlage hat der Betrieb unter anderem die folgenden zwei Möglichkeiten:

  1. Abschließen einer Versicherung gegenüber Ernteausfällen aufgrund von Wetterbedingungen

    Der geschlossene Vertrag stellt einen Versicherungsvertrag im Sinne des IFRS 17 dar, da dieser sich explizit auf den Versicherungsnehmer bezieht. Als Unsicherheitskomponente lassen sich geologisch-physikalische Komponenten, wie z.B. Niederschlagsmenge und Sonnenstunden identifizieren. Zudem bezieht sich der Vertrag nur auf die Ernteausfälle des Betriebes und ist daher kundenspezifisch.

  2. Abschließen eines Wetterderivats

    Ein Wetterderivat ist hingegen als Finanzprodukt zu klassifizieren und ist daher kein Versicherungsvertrag. Ein solches Finanzinstrument ist nicht von den real erfolgten Ernteausfällen aus den Wettereinflüssen abhängig. Jeder, der ein solches Derivat am Markt erwirbt, kann dies nutzen, unabhängig von der real eingetretenen Wettersituation. Das Derivat ist nicht kundenspezifisch.

Trennungspflicht von eingebetteten Produkten mit Anwendungsbereich anderer Standards

Vorsicht ist geboten bei der Klassifizierung und Separierung des Produktangebotes. Eine Aufteilung der Produktbestandteile schreibt der Standard explizit vor, sobald das abgespaltene Produkt weder Bezug noch Charakter eines Versicherungsvertrages besitzt. Dies hat zur Folge, dass die Bestandteile auch nach anderen Standards bilanziert werden müssen. Die Beispiele für derartige Fälle sind vielfältig.

Beispiel:

  1. Ein Kreditkartenanbieter bietet neben dem Hauptgeschäft der Ausgabe von Kreditkarten auch zusätzliche Services (Concierge Service, Versicherungen, Vermögensverwaltung) an, die der Kreditkartenbesitzer automatisch durch Zahlung der Jahresgebühr erhält. Diese Leistungen können zum einen Dienstleistungskomponenten sein, welche unter die Anwendung von IFRS 15 fallen, aber zum anderen auch Versicherungskomponenten, wie Auslandskrankenversicherungen oder Reiserücktrittsversicherungen. Diese fallen dann unter den neuen Standards IFRS 17. Insbesondere zeigt dieses Beispiel, dass nicht nur Versicherungsunternehmen mit dem neuen Standard in Berührung kommen.

  2. Ein Versicherungsunternehmen bietet eine Lebensversicherung an, welche eine zusätzliche Kapitalanlageform beinhaltet. Laut Vertrag ist es dem Versicherten möglich, einen Teil des eingezahlten Kapitals nach einer festgelegten Laufzeit auszahlen zu lassen. Die Finanzanlage wird als Investmentvertrag (investment component) eingestuft und ist nach IFRS 9 als Finanzverbindlichkeit zu bilanzieren. Diese Entflechtung wird als Unbundling bezeichnet.

  3. Eine PKW-Leasinggesellschaft bietet zusätzlich zu der Leasingoption ein Service-Paket für anstehende Werkstattbesuche an (Versicherungsschutz gegenüber PKW-Schäden). Obwohl der Leasingvertrag eine Laufzeit von 3 Jahren besitzt, ist die Laufzeit des Service-Pakets auf ein Jahr beschränkt. In dem Vertrag ist jedoch zusätzlich vereinbart, dass der Kunde nach einem Jahr die Service-Garantie unter Zahlung eines vereinbarten Betrages verlängern darf. Der Leasingvertrag beinhaltet daher neben der Versicherungskomponente auch eine Option. Die Prämie für die Option der Service-Vertragsverlängerung wird in dem Leasingvertrag eingepreist und ist daher ebenfalls zu trennen und nach IFRS 9 zu bilanzieren.

  4. Ein Student schließt eine Berufsunfähigkeitsversicherung ab. Diese beinhaltet explizit den Ausschluss von bestimmten späteren Berufsfeldern. Die Möglichkeit der späteren Anpassung der BU-Versicherung ist jedoch in Form einer Option gegeben. Es handelt sich um eine Vereinbarung über die Möglichkeit zu einem in der Zukunft liegenden Termin einen Versicherungsvertrag anzupassen.

Eine Separierung von Vertragskomponenten ist jedoch nur notwendig, wenn die Produktbestandteile nicht eng miteinander verbunden sind und zusätzlich diese auch separat abgeschlossen werden können, d.h. diese sind auf dem freien Markt jederzeit verfügbar. Insbesondere letztere Bedingung wird von dem IASB derart abgeschwächt, dass zwar eine Recherche über das Marktangebot notwendig ist, allerdings unter Beachtung von Kosten-Nutzen-Abschätzungen erfolgen kann. Eine intensive Suche nach äquivalenten Produkten ist daher nicht notwendig. Das Beispiel 2 erfüllt in der Regel die zwei Bedingungen, da die Investmentkomponente häufig über den Erwerb von Fondsanteilen erfolgt.

Abbildung 2: Separierung der Komponenten

Abbildung 2: Separierung der Komponenten

Trotz der abgeschwächten Vorschriften zur Ermittlung äquivalenter Produkte ist eine revisionssichere Prozessdokumentation von den Fachbereichen unabdingbar. Hierfür sind zunächst, sofern bereits vorhanden, die bestehenden Prozesse zur Analyse des Marktsegmentes auf IFRS-Konformität zu prüfen. Falls noch keine derartigen Marktbeobachtungen stattfinden, sind diese neu aufzusetzen und zu dokumentieren. In diesem Zuge sollten fest definierte Paramater initial vorgegeben werden und periodisch überprüft, sowie ggf. angepasst werden. Eine Prozessautomatisierung kann die Fachbereiche zusätzlich entlasten.

Portfoliobildung und Zugangsbewertung

Der neue Standard sieht vor, dass die Versicherungsverträge auf Portfolioebene bewertet werden sollen. Die Portfoliobildung unterliegt dabei den im Standard definierten Kriterien. So muss eine Bilanzierungseinheit Verträge beinhalten, welche ein ähnliches Risikoprofil aufweisen und unternehmensintern identisch gesteuert werden. Dies hat zur Folge, dass Verträge unterschiedlicher Versicherungsgruppen (z.B. Krankenversicherung vs. Lebensversicherung) keine Bilanzierungseinheit bilden können. Die Portfoliobildung liegt im Ermessen der Unternehmensführung. Mithin sind allerdings mindestens die drei folgenden Gruppierungen einzuhalten:

  1. Beim Zugang belastende Verträge

  2. Verträge, für die mit einer signifikanten Wahrscheinlichkeit eine zukünftige Belastung ausgeschlossen werden kann

  3. Verträge der Residualgruppe, welche keine der beiden anderen Gruppen zugeordnet werden können

Weiterhin findet auch die zeitliche Komponente Beachtung. Innerhalb der Gruppe dürfen keine zwei Verträge enthalten sein, deren Vertragsbeginn mehr als ein Jahr auseinander liegt.

Die Aufwände zur Ermittlung der Gruppierungen sollten nicht unterschätzt werden. Insbesondere aufgrund der Separierung nach Vertragsbeginn ergeben sich zahlreiche Gruppen. Da jede dieser Gruppen einzeln bewertet werden muss, sollte vorab die bestehende IT auf Verarbeitungsfähigkeit der Datenmengen geprüft werden. Vor allem Verträge mit langer Laufzeit, wie zum Beispiel Lebensversicherungen, erfordern häufige Bewertungsanpassungen und stellen die IT-Systeme vor besonderen Herausforderungen.

Die Bilanzierung von Versicherungsverträgen folgt dem „building block approach“. Dieses Baukastenprinzip fordert unter anderem eine Barwertbestimmung des zukünftigen Cashflows, was wiederum Anforderungen an den Diskontierungszinssatz mit sich bringt. Für den Bilanzansatz sind zwei Komponenten zu beachten:

  1. Der fulfilment cash flow, definiert als der Erfüllungswert der Verpflichtung. Dieser umfasst neben dem erwarteten zukünftigen Zahlungsstrom auch eine Korrekturgröße für die finanziellen und nichtfinanziellen Risiken.

  2. Die contractual service margin (CSM), welche dem erwarteten noch nicht realisierten Gewinn entspricht. Aus der Definition ist ersichtlich, dass es sich bei der CSM um das Delta zwischen dem fulfilment cash flow und dem vereinnahmten Entgelt handelt, was nicht zuletzt auch deren Bezeichnung rechtfertigt.

Sollte die CSM bei Zugang positiv sein, ist eine sofortige Gewinnvereinnahmung nicht erlaubt. Eine bei Zugang negative CSM ist hingegen als Aufwand zu verbuchen.

Über den zeitlichen Vertragsverlauf ist eine Gewinnrealisierung jedoch möglich.

Der fulfilment cash flow ist dabei in drei Teile zu separieren:

  1. Schätzung der Netto-Zahlungen

  2. Anpassung des Zeitwertes des Geldes hinsichtlich des Finanzierungsrisikos. Diese Anpassungen spiegeln sich im Diskontierungszinssatz wieder, für den besondere Anforderungen bestehen.

  3. Korrektur für andere, jedoch nichtfinanzielle Risiken, welche weiterhin potentiellen Einfluss auf den zukünftigen Zahlungsstrom haben.

Abbildung 3: Aufteilung von Assets/Verbindlichkeiten

Die erwähnten Komponenten bilden die Grundlagen für die Bilanzierung von Versicherungsverträgen. Neben der Portfoliostrukturierung stellt auch die Quantifizierung von Risiken (unabhängig von finanziellen oder nichtfinanziellen) die Unternehmen vor Schwierigikeiten.

Aufgrund der Komplexität der Bewertung, ermöglicht der Standard auch einen vereinfachten Ansatz. Hinsichtlich der Vielfalt von Versicherungsverträgen, wird dieser jedoch nur bedingt anwendbar sein. Zudem ist der sogenannte premium allocation approach nur für Verträge mit Laufzeit unter einem Jahr erlaubt. Da jedoch kurzfristige Risiken von Unternehmen häufig mittels Derivaten gehedged werden, fällt eine Nutzung des vereinfachten Ansatzes häufig aus. Nichtsdestotrotz existieren Anwendungsbereiche, wie z.B. Versicherungsleistungen für Auslandskrankenversicherungen, welche nur während des Auslandsaufenthaltes gültig sind. In der Regel bieten diese Unternehmen auch Verträge mit längerer Laufzeit an. Für diese Unternehmen ist eine Bewertung ausschließlich nach dem building block approach oft vorteilhaft, da so die Systemkomplexität und IT-Infrastruktur reduziert wird.

Die Risikoabschätzung im Diskontierungszinssatz

Besondere Beachtung im neuen Standard findet der Diskontierungssatz, an den spezielle Anforderungen gestellt werden. Unter anderem gelten die Äquivalenzgrundsätze bezüglich Laufzeit, Risiko und Kaufkraft. Allerdings schreibt der Standard keine explizite Methode zur Bestimmung des Zinssatzes vor. Da die Risikoparameter einzelner Versicherungsverträge vielfältig ausgeprägt sein können, ist ein analoger Zinssatz auf dem Markt nur selten beobachtbar. Um den risikoadjustierten Diskontfaktor zu bestimmen, ist daher entweder nach dem bottom-up oder top-down-Prinzip vorzugehen.

Abbildung 4: Bottom-Up und Top-Down für den Diskontierungszinssatz

Die Wahl eines risikolosen Zinses, wie er z.B. durch eine Staatsanleihe gegeben ist, scheidet in der Regel aus, da Versicherungsverträge als illiquide einzustufen sind. Hier bedarf es einer Anpassung in Form eines Liquiditätsspreads. Zu beachten ist auch, dass der Zins der Staatsanleihen bereits das Kredit- bzw. Ausfallrisiko einpreist. Aus diesem Grund ist eine Adjustierung des Diskontierungszinssatzes diesbezüglich nicht notwendig und somit gemäß Standard nicht vorgesehen.

Das Top-Down Prinzip basiert hingegen auf einen am Markt beobachtbaren Zinssatz, welcher eine alternative Anlage repräsentiert. Dieser ist anschließend um den nicht versicherungsspezifischen Anteil zu reduzieren. Die Ermittlung dieses Anteils ist in der Regel nicht leicht zu ermitteln, da viele Einflussfaktoren eingehen um das Kreditrisiko zu ermitteln. Darunter fallen zum Beispiel Geschäftszyklen, Geldpolitik und Liquidität. Außerdem ist zwischen erwarteten und unerwarteten Ausfallrisiken zu unterscheiden. 

Das nichtfinanzielle Risiko findet in dem Diskontierungszinssatz keine Anwendung. Dieser ist separat wertmäßig als Differenz zwischen sicherheitsäquivalenten und erwarteten Netto-Zahlungsstrom zu ermitteln.

Die Anforderungen an den Zinssatz unterscheiden sich fundamental zu der bisherigen HGB-Bilanzierung. Während nach nationalen Richtlinien die Anschaffungskosten, sowie der historische Zinssatz bei Vertragsbeginn entscheidend war, erfolgt nun die Bewertung nach dem Fair-Value-Prinzip. Folglich muss die IT-Infrastruktur angepasst werden, sofern bisweilen noch keine IFRS-Bilanzierung stattfand. Da weiterhin die HGB-Bilanz für die Steuerberechnung von Relevanz ist, ist es nicht ausreichend lediglich das bestehende System umzubauen. Vielmehr muss eine neue IT-Lieferstrecke konzipiert, umgesetzt und betreut werden. Die hohen Ansprüche an das Datenmanagement sollten jedoch als Chance für eine Modernisierung der Systeme betrachtet werden.

Folgebewertung durch Anpassung des fulfilment cash flows und der CSM

Natürlich können sich kontinuierlich Risikoeinschätzungen bezüglich des Versicherungsobjektes ändern. Aber auch Zinssätze und weitere Parameter für die Bewertung von Versicherungsverträgen unterliegen ständiger Änderungen. Daher ist zum Bilanzstichtag eine Anpassung der getroffenen Annahmen vorzunehmen. Diese wirken sich direkt auf den fulfilment cash flow aus. Hinsichtlich der Neueinschätzung des nichtfinanziellen Risikos des Erfüllungswertes entstehen zwei Möglichkeiten

[M1]
Die zu leistende Versicherungszahlung für einen eingetretenen Schaden ist der Höhe nach bereits bekannt, aber noch nicht reguliert. In diesem Fall ist die Auswirkung direkt in der Gewinn- und Verlustrechnung zu erfassen.

[M2]
Falls eine Anpassung des erwarteten (wahrscheinlichkeitsgewichteten) Zahlungsstromes erfolgt, ist hingegen die CSM um das Delta zu mindern oder zu erhöhen. Die Umbuchung erfolgt auf Bilanzseite und hat daher keinen Einfluss auf die Gewinn- und Verlustverhältnisse.

Die Neueinschätzung von Risiken spiegelt sich auch in der Risikoadjustierung des Diskontierungszinssatzes wieder. Eine Neuberechnung und Anpassung an die aktuell geltenden Verhältnisse ist daher unabdingbar. Im Falle von nur unwesentlichen Änderungen ist eine Bilanzumgliederung nicht notwendig. Im Falle des Überschreitens von Wesentlichkeitsgrenzen ist die Bilanzierung der Änderung von Zahlungsströmen durch ein Wahlrecht geregelt.  Demnach ist neben einer erfolgswirksamen Erfassung auch eine zusätzliche Aufteilung in eine erfolgsneutrale Komponente möglich.

Beispiel

Im Folgenden werden die obigen Erkenntnisse anhand eines einfachen Beispiels illustriert.
Nach Separierung von eingebetteten Optionen und der Portfoliobildung sind 500 Versicherungsverträge als Gruppe zusammengefasst. Die Laufzeit der Verträge ist auf 3 Jahre festgesetzt und als Vereinfachung beginnen die Verträge sofort nach Vertragsabschluss. Weiter nehmen wir an, dass kein Vertrag vorzeitig gekündigt bzw. verkauft wird oder anderweitig gegen die Vertragsvereinbarung verstößt.

Der Versicherungsgeber schätzt die sofortigen Einnahmen nach Vertragsabschluss auf 90.000 CU. Dies entspricht einem Barwert in dergleichen Höhe. Der Zahlungsabfluss im ersten Jahr betrage 20.000 CU und für die Jahre 2 und 3 liegen die folgenden Erwartungen vor:

  • erwartete Ausgaben in Jahr 2: 30.000 CU

  • erwartete Ausgaben in Jahr 3: 25.000 CU

Weiter berechnet das Unternehmen die Diskontierungsrate in Höhe von 3% zur Abdeckung sämtlicher finanziellen Risiken über das Bottom-Up-Prinzip. Als risikofreie Anlage ist dafür eine Anleihe mit 2,5% jährlicher Rendite gewählt worden. Aufgrund der Marktsituation für Versicherungsverträge berechnet das Unternehmen also einen Illiquiditätszuschlag in Höhe von 0,5%.

Um auch nichtfinanzielle Risiken abzudecken, ermittelt das Unternehmen einen Risikoabschlag in Höhe von 7.800 CU.

Am Ende von Jahr 1 ergibt sich das folgende Bild für einzelne Komponenten der Verbindlichkeitsposition in der Bilanz, die gemäß IFRS17 §101 offengelegt werden müssen. Am Ende des Beispiels sind Bilanz und GuV für den Verlauf der 3 Jahre abgebildet.

Die zu erwartenden Zahlungen sind zu jedem Bilanzstichtag neu zu bewerten. Dadurch ergeben sich Zuführungen oder Auflösungen der CSM. Diesen Effekt wollen wir durch folgende Annahmen darstellen, wobei Anmerkungen R[x] für real erwirtschaftete Beträge und E[x] für erwartete Veränderungen der Inputfaktoren stehen:

R1)
es kam in Jahr 2 lediglich zu Ausgaben in Höhe von 21.000 CU, anstelle von den zuvor erwarteten 30.000 CU,

E1)
im Gegensatz zu dem zunächst erwarteten Zahlungsabfluss wird die Erwartung an Ausgaben für Jahr 3 auf 17.000 CU angepasst,

E2)
die Risikoadjustierung für nichtfinanzielle Risiken für Jahr 3 wird ebenfalls von 2.600 CU auf 2.000 CU reduziert,

E3)
der Diskontierungszinssatz für Jahr 3 wird auf 4% erhöht.

Am Ende von Jahr 3 stellt es sich wie folgt dar:

R2)
es kam in Jahr 3 lediglich zu Ausgaben in Höhe von 16.000 CU, anstelle der in Jahr 2 prognostizierten Ausgaben von 17.000 CU, siehe E1).

Zum Stichtag des dritten Vertragsjahres wird die verbliebene CSM vollständig aufgelöst. Da alle Versicherungszahlungen sofort vom Unternehmen geleistet werden, besteht keine Verbindlichkeit gegenüber Dritter.

Für die zugehörigen Bilanzwerte „Bar-/Sichteinlagen“ und „Verpflichtungen aus Versicherungsverträgen“, die sich aus obigen drei betrachteten Komponenten zusammensetzt, ergeben sich über den Zeitverlauf zusammengefasst die nachstehenden Daten:

Für die zugehörigen GuV-Werte „Veränderungen im Zusammenhang mit erbrachten Leistungen der aktuellen Periode“ und „versicherungsbezogenen Zinsergebnis“ ergeben sich über den Zeitverlauf zusammengefasst die nachstehenden Daten:

Das Beispiel zeigt insbesondere, wie die CSM durch die Barwerte der zukünftigen Zahlungen bestimmt wird. Durch die Barwertermittlung ergeben sich Zuführungen oder Auflösungen der CSM und damit einen Impact auf die Gewinn- und Verlustrechnung.

Das Beispiel ist verhältnismäßig simpel gehalten um die grundlegenden Ideen von IFRS 17 illustrieren zu können. In der Praxis sorgen Spezialfälle wie bei Zugang belastende Verträge, permanente Abweichungen von vergangenen Erwartungshaltungen, die notwendige Anpassung von Input-Parametern oder die Anpassung von zukünftigen Erwartungswerten für ein hohes Maß an Komplexität für Konzeption, Umsetzung, IT und Prozesse.

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