Der Schuldschein: Ein Inkubator für Digitale Transformation

Photo by Sawyer Bengtson on Unsplash, abgerufen am 05.12.2019.

Photo by Sawyer Bengtson on Unsplash, abgerufen am 05.12.2019.

 

Der Boom des Schuldscheindarlehens hält weiterhin an: Mit einem Volumen von ca. 22 Mrd. Euro allein in den ersten neun Monaten des Jahres knüpft es an den Aufschwung der vorigen Jahre an. Trotzdem ist der Schuldscheinmarkt – verglichen mit anderen Finanzierungsprodukten wie etwa Corporate Bonds oder klassischen Darlehen – noch immer ein Nischenmarkt.

Neben dem wachsenden Markt zieht der Schuldschein aktuell auch wegen eines anderen Phänomens vermehrt Aufmerksamkeit auf sich: Ein bisher ungesehenes Aufkeimen neuer digitaler Plattform-Unternehmungen bietet nun digitale Services rund um die Begleitprozesse der Schuldscheinemission an. Allein in den letzten zwei Jahren lässt sich hier der Start von neun neuen, digitalen Plattformen verzeichnen. Diese Anzahl rechtfertigt sich nicht nur durch das starke Wachstum des Segments, sondern auch durch die spezifischen Merkmale des Schuldscheindarlehens: In seinem traditionellen Ablauf enthält der Begleitprozess viele ineffiziente Schritte, die sich für eine Digitalisierung geradezu anbieten.

Zahlreiche Initiativen experimentieren mit verschiedenen Plattform-Lösungen und nutzen dabei unter anderem auch die Blockchain Technologie. Damit wird der Schuldschein zu einem Ausgangspunkt der Digitalisierung von Finanzprodukten und zu einem Inkubator für Initiativen zur „Digital Transformation“ der Finanzwelt insgesamt.

Ein willkommener Use Case – Der Schuldschein und die Digitalisierung

Neben seiner steigenden Beliebtheit ist das Schuldscheindarlehen (SSD) per Definition eine eher unkomplizierte und effiziente Emission: Durch das BGB als bilateraler Darlehensvertrag klassifiziert, ist das SSD von komplexen MiFID-II-Regularien ausgenommen und erlaubt einen hochstandardisierten Emissionsprozess, der keine zeit- und kostenintensiven Dokumentationen erfordert, wie beispielsweise eine Anleihe.

Die meisten dieser Vorteile werden jedoch durch den Umstand aufgewogen, dass der traditionelle Emissionsprozess aus vorwiegend manuellen Arbeitsschritten besteht, die zeitintensiv sind und in Form hoher Transaktionskosten zu Buche schlagen.

Schuldscheindarlehen

Das Schuldscheindarlehen ist eine urkundenbasierte, private Platzierung, traditionell verankert in Deutschland. Ausgenommen von Wertpapier-Prospektus-Regularien und mit niedrigen Dokumentationspflichten, bietet es einen hohen Grad an Standardisierung und Flexibilität zugleich. Verglichen mit einer Anleihe ermöglicht der Schuldschein einen erheblich günstigeren und zeitlich effizienteren Emissionsprozess. Als unbesicherter bilateraler Kredit mit geringen Kreditsicherungsabsprachen sind auch Volumina über dem eines klassischen Kredits möglich, ohne die komplexen und teuren Prozesse einer Anleiheemission durchlaufen zu müssen. Typische Laufzeiten liegen bei 3-10 Jahren, das durchschnittliche Dealvolumen beträgt ca. EUR 175 Millionen. Zu den Investoren zählen hauptsächlich Banken, während die Emittenten vorwiegend große Unternehmen des Industriesektors sind. Mehr über den Schuldschein finden Sie in unserem Hintergrundartikel.

Der auf Urkunden basierte Prozess erfordert eine Vielzahl an Interaktionen zwischen den Stakeholdern, umständliche, papierhafte Iterationen und eigentlich vermeidbare Transaktionskosten, insbesondere zwischen Emittenten und Investor. Gleichzeitig benötigen viele der Prozessschritte traditionell eine dritte Partei, die als Arrangeur fungiert und vor allem das Netzwerk unterhält, in dem sich Emittent und Investor finden. Der Arrangeur begleitet zudem auch die Strukturierung, das Marketing, das Settlement und die Supervision, weshalb die Rolle üblicherweise von einer Bank übernommen wird.

Der Schuldschein stellt daher einen willkommenen Use Case für Unternehmungen in Richtung Digital Transformation dar: Es ist vergleichsweise einfach, den Kernprozess zu digitalisieren und sowohl Emittent als auch Investor profitieren von der gesteigerten Effizienz, dem hohen Grad an Standardisierung, mehr Transparenz und einem größeren Netzwerk.

Was ist los am Markt?

Aktuell bieten ca. 13 Plattformen Lösungen für die digitale Abwicklung von Schuldscheindarlehen an. Der Boom an Plattformen hebt den Schuldschein selbst  in neue Dimensionen, in dem Sinne, dass er neue, größere Emittenten, wie etwa Lufthansa oder Daimler, anzieht, und auch die Transaktionsvolumina steigert: Erst kürzlich wurde eine Rekordsumme von 2,1 Mrd. Euro mit Hilfe der Plattform VC-Trade erreicht [9]. Umgekehrt profitieren aber auch kleinere Emittenten von der Digitalisierung, da auch kleinere Transaktionsvolumina durch die gesteigerte Effizienz wirtschaftlich werden.

Abbildung 1: Übersicht der verschiedenen Prozessschritte: Die meisten Schritten können bereits über eine digitale Plattform-Lösung ausgeführt werden. Lediglich die Erstellung des Zeichnungsscheins ist regulatorisch noch nicht für den digitalen Proze…

Abbildung 1: Übersicht der verschiedenen Prozessschritte: Die meisten Schritten können bereits über eine digitale Plattform-Lösung ausgeführt werden. Lediglich die Erstellung des Zeichnungsscheins ist regulatorisch noch nicht für den digitalen Prozess freigegeben.
Quelle: Finbridge.

Die Digitalisierung des Schuldscheines ist jedoch noch nicht vollends abgeschlossen. Die meisten Plattformen können bereits den gesamten Lifecycle, d.h. Strukturierung, Marketing, Bookbuilding, Settlement und Post-Settlement, abbilden. Da der Schuldschein auf Urkunden basiert, muss der essentielle Schritt der Zertifikatssignatur noch immer analog und in Abstimmung mit einem Notar erfolgen. Obwohl es bereits erste Versuche gab, diesen letzten Schritt mit Hilfe der Blockchain Technologie durchzuführen und diese technisch erfolgreich umgesetzt wurden, ist diese Methode letztlich (noch) nicht offiziell von der BaFin freigegeben.

Plattformen – Wozu sind sie da?

Bei den zahlreichen Plattformen am Markt ist es nicht mehr einfach, unterscheidende Merkmale festzustellen. Von der technischen Seite her bilden die Plattformen ein Front-End für die involvierten Parteien - Banken, Investoren und Emittenten – und zielen darauf, die Transaktions-, Finanzierungs- und Liquiditätskosten wirtschaftlicher zu machen.

Durch digitale Schuldscheine kann ein großer Kreis an Investoren mit einer großen Zahl an Emittenten in Kontakt kommen, die maßgenschneiderte Platzierungen bei geringen Kosten anbieten. Während potentielle Emittenten in den meisten Fällen einem Vorscreening bzgl. ihrer Anlagequalität unterzogen werden, sind Investoren, die Plattformen beitreten, in der Regel bereits entschlossen, einen Schuldschein mit geringem Risiko zu erwerben. Die Bereitstellung von Dokumentationen und die Verteilung der relevanten Akten über die Plattform macht den Gesamtprozess zeiteffizient und transparent. Finanzierungs- und Liquiditätskosten können durch ein transparentes Angebot und die Allokation maßgeschneiderter Tranchen und Laufzeiten reduziert werden und erreichen somit eine breitere Community, ähnlich wie bei einer Ausschreibung.

Obwohl die Plattformen im Vergleich mehr oder weniger gleiche Services anbieten, verfolgen sie teils unterschiedliche Strategien. Einige Initiativen glauben an die Digitalisierung des gesamten Sektors und wollen die Rolle der Banken als Arrangeur eindämmen. Andere wiederum sehen es als Notwendigkeit, die Banken als starken Partner in den Prozess einzubeziehen und möchten die Plattformen gegenüber so vielen Beteiligten wie möglich öffnen um einen maximalen, nachhaltigen Benefit zu erreichen. Die vorhandenen Plattformen können grob in drei Gruppen eingeteilt werden:

  1. Proprietäre Lösungen von Banken, die darauf abzielen die eigenen Prozesse zu verbessern und digitalisieren.

  2. Multi-Arrangeur Lösungen, die von Banken oder FinTechs gegründet wurden, um viele Investoren, Banken und Emittenten zusammen zu bringen.

  3. Neutrale Lösungen, die meist von bankunabhängigen FinTechs stammen und darauf abzielen, den Schuldschein Schritt für Schritt vom Bankensektor zu entkoppeln und die klassische Rolle von Banken als Arrangeur in Frage zu stellen.

Abbildung 2: Zeitreihe der Gründung von Schuldschein-Plattform-Initiativen seit 2016. *Zeitpunkt der ersten Emission, sofern Gründungszeitpunkt nicht verfügbar.  Quelle: Unternehmenswebsites, Handelsregister. Design: Finbridge.

Abbildung 2: Zeitreihe der Gründung von Schuldschein-Plattform-Initiativen seit 2016. *Zeitpunkt der ersten Emission, sofern Gründungszeitpunkt nicht verfügbar.
Quelle: Unternehmenswebsites, Handelsregister. Design: Finbridge.

Öffentliche Banken an vorderster Front

Der Schuldscheinmarkt wird traditionell von deutschen und österreichischen öffentlichen Banken (Landesbanken oder Genossenschaftsbanken) angeführt. Konsequenterweise sind diese Banken nun auch an vorderster Stelle, wenn es um die Einführung eines digitalen Schuldscheinangebots geht. Derzeit sind Debtvision (LBBW und Börse Stuttgart), Yellowe (RBI) und Finpair (Nord/LB) auf dem Markt. Die Plattform Synd-X von HSBC repräsentiert eine von einer Privatbank gegründete Plattform.

Die Plattform Debtvision war eine der ersten bankgegründeten Initiativen mit einem digitalen Schuldschein und hat sich zugleich zu einem der Platzhirsche im digitalen Schuldscheingeschäft entwickelt. Die Plattform vertritt die Ansicht, dass das Arrangieren des Schuldscheins an sich kein Mehrwert sei und genauso gut über eine Plattform geregelt werden könne. Stattdessen finde eine Neuausrichtung der Bank vom einfachen Arrangeur hin zu Deal- und Strukturierungsberatung statt, die einen echten Mehrwert schaffe. Bei Debtvision kann so der Emittent entscheiden, ob er bankbegleitet oder -unabhängig emittiert. Bis zu einem Drittel aller Transaktionen seien bisher bankenunabhängig arrangiert worden, so auch ein kürzlich abgeschlossener 50-Millionen-Euro-Deals der Schott AG. Debtvision hat bereits Schuldscheindarlehen für u.a. Porsche, die KfW, die BayWa GmbH und das Land Baden-Württemberg mit einem Gesamtvolumen von weit über 6 Mrd. Euro organisiert. Vor der Gründung von Debtvision hat die LBBW bereits mit der Blockchain Technologie experimentiert, inzwischen jedoch  erklärt, sich vorerst nicht auf diese zu konzentrieren [3] [4] [5] [16].

Die Plattformen Yellowe der RBI und Synd-X der HSBC Bankengruppe können eher den proprietären, hauseigenen Plattform-Lösungen zugeordnet werden. Während die RBI auch in anderen Plattform-Initiativen als Arrangeur sowie Investor aktiv ist, ist Yellowe als komplementäres Angebot gedacht, das die lokalen Filialenmärkte im Schuldscheingeschäft unterstützen soll [6].

Synd-X bietet derweil neben Schuldscheinen auch digitale Namensschuldverschreibungen an und plant, das Angebot um weitere Produkte zu erweitern. Obwohl HSBC die alleinige Eigentümerin ist, versteht sich die Plattform als Multi-Arranger-Lösung, bei der auch andere Banken eingeladen sind, ihr Dienste anzubieten.

Abbildung 3: Der traditionelle Schuldscheinprozess. Die Bank fungiert als Vermittler zwischen Investor und Emittent. Alle Dokumente und Zahlungen werden durch die Bank administriert.  Quelle: Finbridge

Abbildung 3: Der traditionelle Schuldscheinprozess. Die Bank fungiert als Vermittler zwischen Investor und Emittent. Alle Dokumente und Zahlungen werden durch die Bank administriert.
Quelle: Finbridge

Während Emittenten wählen können, ob sie bank-begleitet oder bankenunabhängig emittieren wollen, betont Synd-X die Rolle der Bank als Stabilitäts- und Sicherheitsgarant bei Prozessstandards, Zahlungsabwicklung und regulatorischen Anforderungen [7]. Der erste Deal über die Plattform war für die Leasing-Agentur Grenke AG. Als spezielles Feature bietet die Plattform Schuldschein-Roadshows über die MyDeal-App an.

Obwohl von der Nord/LB ins Leben gerufen, agiert die Plattform Finpair komplett bankenunabhängig. Das Ziel der Plattform ist, durch höhere Prozesseffizienz auch kleinere Transaktionsvolumina abwickeln zu können. Finpair arbeitet zu diesem Zweck bereits mit externen Rating-Agenturen und Rechtsberatungen zusammen [8].

FinTechs drängen auf den Markt

Obwohl es die Banken sind, die den Schuldscheinmarkt traditionell beherrschen, sind sie längst nicht mehr die einzigen Player auf dem Markt. Wie auch bei anderen Digitalisierungsthemen waren FinTechs bei Plattform-Lösungen schon früh in den Startlöchern, um sich ihre Position am Markt zu sichern – einige sogar früher als die Banken.

Einer der im Moment vielversprechendsten und zugleich banknahen Plattform-Lösungen ist VC-Trade vom Frankfurter FinTech Value Concepts. Zusammen mit Debtvision ist VC-Trade momentan führend in Hinblick auf Transaktionsvolumen und Anzahl an Deals. Im Gegensatz zu Debtvision unterstreicht jedoch VC-Trade die Rolle der Banken im Gesamtprozess und bietet lediglich bankbegleitete Deals an. Dabei arbeitet die Plattform mit Schuldscheingrößen wie der Helaba, der BayernLB und der Commerzbank, sowie mit sechs weiteren Banken zusammen. Bisher vereint die Plattform über 400 Investoren und bietet innovative Partnerschaften mit Rechtsberatungsfirmen wie Linklaters und White & Case an. Als Multi-Arranger-Plattform pflegt VC-Trade ihr Image als Rekord-Deal-Enabler. Nach einem EUR 800 Millionen-Deal mit der Lufthansa organisierte die Plattform kürzlich einen Rekord-Deal von 2,1 Mrd. Euro im Oktober mit der ZF Friedrichshafen AG [9] [10] [11] [12].

Abbildung 4: Der Schuldscheinprozess über eine Plattform: 1) der Emittent meldet sich auf der Plattform an und wird auf Kreditwürdigkeit geprüft, 2) Institutionelle Investoren werden angeworben von einer großen Anzahl an Investitionsmöglichkeiten, 3…

Abbildung 4: Der Schuldscheinprozess über eine Plattform: 1) der Emittent meldet sich auf der Plattform an und wird auf Kreditwürdigkeit geprüft, 2) Institutionelle Investoren werden angeworben von einer großen Anzahl an Investitionsmöglichkeiten, 3) Banken können die Rolle eines Arrangeurs, Beraters oder einer Vertrauenspartei einnehmen, 4) Alle Arten von Dokumenten und Zahlungen können standardisiert und transparent über die Plattform verteilt und abgewickelt werden. Quelle: Finbridge.

In Kontrast zum banknahen Konzept von VC-Trade, versuchen einige FinTechs die Ineffizienzen des Schuldscheinprozesses bankenunabhängig zu lösen und fordern so die Banken in ihrer klassischen Rolle der heraus. Das Kölner FinTech Firstwire kam bereits 2016 auf den Markt – lange vor der ersten Banken-Lösung. Die Philosophie der Plattform ist, dass mehr und mehr Unternehmen sich einen eigenen, direkten und gleichzeitig einfachen Zugang zum Kapitalmarkt wünschen, ohne den Umweg über die Banken nehmen zu müssen. Die Strategie ist so eine Paarung aus einer Plattform, die zwar verschiedene Produkte arrangieren kann, aber zugleich die Komplexität der Produktpalette reduziert, um den Markt einfacher und übersichtlicher zu gestalten. Firstwire fokussiert sich daher auf Plain Vanilla Deals mit einem zugeschnittenen Investorenkreis. Momentan bedient die Plattform vor allem das Kommunalfinanzierungsgeschäft [13].

Ebenfalls aus Köln, positioniert sich das FinTech CredX als neutrale Plattform, auf der der Emittent selbst entscheiden kann, ob er eine Bank als Partner/Arrangeur hinzuzieht oder nicht. Zentrales Argument ist jedoch, dass eine Schuldscheinemission grundsätzlich ohne Bank möglich ist. Der erste Deal war ein 50-Millionen-Euro-Schuldschein der Telekom AG im Februar 2018. Mit über 140 registrierten Investoren, fungiert die Plattform als Broker für Schuldscheine, Namensschuldverschreibungen und anderer Anleihearten für mittlere und große Unternehmen und zielt auf ein Transaktionsvolumen ab 10 Millionen Euro aufwärts [14].

Aus der österreichischen Crowdfunding-Plattform Finnest heraus wurde 2017 die Plattform FinnestPro gegründet, mit der Intention, die Produktpalette zu erweitern und Transaktionen von bis zu 25 Millionen Euro zu ermöglichen. Kürzlich fand ein Merger mit der finnischen Invesdor statt, welche eine MiFID II-Lizenz besitzt. So soll eine europaweite Plattform geschaffen werden, die auch andere, MiFID-regulierte Produkte vermitteln kann [15].

Das Blockchain Experiment

Neben den vielen Plattform-Initiativen haben einige Akteure sich auch an der Blockchain Technologie (distributed ledger technology) versucht. So verkündete die Erste Group im August 2018, den ersten komplett digitalen Schuldschein über ihre eigene Ethereum-basierte Blockchain erfolgreich abgewickelt zu haben: 20 Millionen Euro konnte die ASFINAG so über die Wiener Städtische Versicherung und die Donau Versicherung einsammeln. Auch die spanische BBVA organisierte einen 200-Million-Euro-Deal für die Madrider Regionalregierung über ihre Blockchain im April 2019. Eine weitere Initiative ist Finledger, ein Joint-Venture der Helaba, DeKaBank, DZ-Bank und der dwpbank, welche ihre erste Emission im Mai dieses Jahres über einer Blockchain vollzog [17] [18] [19].

Die Idee, den Schuldschein über eine Blockchain abzuwickeln, geht dabei über die Digitalisierung des eigentlichen Prozesses hinaus. Blockchain Lösungen bieten die Möglichkeit, Prozessrisiken zu reduzieren, Sicherheit und Transparenz zu fördern und führen, technisch gesehen, dazu, dass vermittelnde Parteien überflüssig sind. Auf dezentralen Kontobüchern (engl. distributed ledgers) basierend, können Transaktionen über bestimmte Konsensmechanismen automatisch und unwiderruflich verbucht werden. Diese Vorgänge machen eine regulierte Bank oder einen Notar obsolet. Sogenannte smart contracts unterstützen gleichzeitig die Businesslogik und können während der Post-Settlement-Phase helfen, Dokumente und Informationen nahtlos automatisch aufzubereiten und zu verteilen.

Verglichen mit „normalen“ digitalen Lösungen würde die Blockchain Technologie für den urkundenbasierten Schuldschein so vor allem bedeuten, dass der letzte analoge Prozessschritt – die Unterzeichnung des Zeichnungsscheins – digitalisiert werden könnte. Jedoch löst die Blockchain nicht per se die verbleibenden Probleme des Schuldscheins:

Erstens, auch wenn technisch möglich, ist die legale und regulatorische Basis zur Anwendung eines digitalen Zeichnungsscheins noch nicht final geklärt. Zweitens ist die Blockchain im Vergleich zu einer „normalen“ digitalen Plattform wesentlich komplexer und teurer zu entwickeln. Zudem birgt eine Blockchain noch immer das Risiko der Kunden-Aversion, bedingt durch den Mangel an Vertrauen in diese relativ neue, noch nicht etablierte Innovation. Drittens hat letzten Endes keine digitale Lösung die Kapazität abzusichern, dass Zahlungen auch tatsächlich geleistet werden: Bonitätsprüfungen und Due Diligence bedürfen nach wie vor eines analogen Prozesses.

Fazit

Einhergehend mit dem Wachstum des Schuldscheinmarktes kam es zu einer wahren Gründungswelle neuer, digitaler Plattform-Initiativen, die im Schuldscheinprozess großes Digitalisierungspotential sehen. Durch die Plattformen entstehen neue Möglichkeiten, das digitale Angebot auch auf andere Produkte, wie Anleihen oder Konsortialdarlehen (SynLoans), zu erweitern, was den Schuldschein zu einem wahren Inkubator der Digitalisierung macht.

Viele der neuen Initiativen kommen von den klassischen Schuldschein-Marktführern, wie der LBBW, Helaba, RBI und der HSBC. Aber auch FinTechs lassen sich ihren Anteil nicht nehmen und sind mit zahlreichen Plattformen vertreten. Durch das mittlerweile große Angebot der Plattformen ist jedoch auch eine Konsolidierung des Marktes zu erwarten. Die jetzigen Plattform-Marktführer Debtvision und VC-Trade verfolgen derweil unterschiedliche Strategien: Die große Frage bleibt, ob der digitale Schuldschein mit oder ohne Intermediäre, wie Banken als Arrangeure, Notare oder Rating-Agenturen, auskommt, oder der Markt nach wie vor nach intermediären Services verlangt. Während es bereits technisch möglich ist, einen Schuldschein komplett ohne Drittpartei zu emittieren, betonen einige Plattformen die Rolle der Banken im Prozess als Türöffner zu Investoren, Ratgeber und Vertrauensvermittler. Andere Plattformen setzen hingegen auf einen digitalisierten Markt ohne dritte Akteure. Auch wenn die Möglichkeiten der Blockchain Technologie diese Ansicht unterstützt, scheint sie momentan zu komplex und kostspielig, um einen Vorteil zu bieten. Wir sind gespannt auf die weiteren Entwicklungen am Markt und welche Plattform-Lösungen sich letztendlich nachhaltig durchsetzen werden.


QUELLEN:

[1] “Schuldschein: Starkes 3. Quartal Dank hohem Liquiditätsbedarf”, Artikel, Capmarcon Capital, 21.10.2019.

[2] “Schuldschein sizes up digital crowd as 11 compete for crown”, Globalcapital.com, besucht am 05.11.2019. https://www.globalcapital.com/article/b1fwmkypwjm8cx/schuldschein-sizes-up-digital-crowd-as-11-compete-for-crown

[3] “Debtvision Newsroom”, Debtdomain, besucht am 05.11.2019.https://www.debtvision.de/news/

[4] Interview mit dem Head of Debtvision, Finance-TV, besucht am 06.11.2019. https://www.finance-magazin.de/finance-tv/debtvision-chef-steinbrich-es-wird-zu-einer-konsolidierung-der-schuldscheinplattformen-kommen-2040401/

[5] Interview mit dem Head of Corporate Finance der LBBW, Finance-TV, besucht am 02.11.2019. https://www.finance-magazin.de/finance-tv/blockchain-schuldschein-effizienzsteigerungen-von-50-prozent-1409151/

[6] “RBI zieht mit digitaler Schuldscheinplattform nach”, Der Treasurer, besucht am 03.11.2019.

https://www.dertreasurer.de/news/finanzen-bilanzen/rbi-zieht-mit-digitaler-schuldscheinplattform-nach-2008281/

[7] “HSBC Deutschland startet Schuldschein-Marktplatz Synd-X”, HSBC, besucht am 03.11.2019.

https://www.about.hsbc.de/de-de/news-and-media/hsbc-digitale-schuldscheinplattform-syndx

[8] Finpair faq website, besucht am 05.11.2019. https://faq.finpair.de/

[9] “VC-Trade – about us”, VC-Trade, besucht am 04.11.2019.https://www.vc-trade.de/welcome/#aboutus

[10] Interview mit Head of VC-Trade, Finance-TV, besucht am 05.11.2019. https://www.finance-magazin.de/finance-tv/vc-trade-chef-fromme-der-schuldschein-ist-weitgehend-ausdigitalisiert2047171/

[11] Interview mit Head of Capital Markets der Helaba, Finance-TV, besucht am 03.11.2019, https://www.finance-magazin.de/finance-tv/digitale-plattformen-stueckkosten-fuer-schuldscheinemissionen-sinken-deutlich-2018721/

[12] “Schuldscheinplattform VC-Trade führt E-Signatur ein“. Der Treasurer, besucht am 05.11.2019. https://www.dertreasurer.de/news/software-it/schuldscheinplattform-vc-trade-fuehrt-e-signatur-ein-2010291/

[13] Interview mit dem Gründer von Firstwire, Finance-TV, besucht am 06.11.2019. https://www.finance-magazin.de/finance-tv/firstwire-gruender-johannes-haidl-erster-corporate-deal-in-sicht-1396421/

[14] Interview mit Head of CredX, Finance-TV, besucht am 05.11.2019. https://www.finance-magazin.de/finance-tv/credx-ceo-ralf-kauther-cfos-und-investoren-behalten-die-kontrolle-2012341/

[15] “Finnest und skandinavische Invesdor bilden Invesdor Group”, Finnest, besucht am 05.11.2019. https://www.finnest.com/finnews/finnest-merger

[16] “LBBW baut Plattform für Schuldscheine aus“. Finance Magazin, besucht am 05.11.2019. https://www.finance-magazin.de/finanzierungen/schuldscheine/lbbw-baut-plattform-fuer-blockchain-schuldscheine-aus-2008691/

[17] “ Erste Group und ASFINAG bringen die erste in Europa zur Gänze auf Blockchain basierende Kapitalmarktemission erfolgreich auf den Markt”, Erste Group, besucht am 07.11.2019. https://www.erstegroup.com/de/news-media/presseaussendungen/2018/10/23/papierlose-ssd-blockchain

[18] Finledger website, besucht am 07.11.2019. https://www.finledger.de/

[19] “BBVA and Madrids Government Close First Blockchain-Powered Sustainable Schuldschein”, BBVA, besucht am 07.11.2019. https://www.bbva.com/en/bbva-and-madrids-government-close-the-first-blockchain-powered-sustainable-schuldschein-loan/


TEAM

MEHR ZU SCHULDSCHEINEN UND DIGITALISIERUNG

 
Dr. Jacqueline BonnetAssociate ManagerDigital TransformationLinkedIn | Xing

Dr. Jacqueline Bonnet

Associate Manager

Digital Transformation

LinkedIn | Xing

 

MEHR INSIGHTS