Abwicklungsplanung für Versicherungen – EIOPA stellt erste Guidelines zur Konsultation

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Hintergrund

Europäische Versicherungen sollen abwicklungsfähig werden. Die in diesem Zusammenhang 2024 erschienene Direktive der Europäischen Union zur Sanierung und Abwicklung von Versicherungsunternehmen, IRRD (Insurance Recovery and Resolution Directive), wird bereits 2027 EU-weit wirksam. Sie fordert umfangreiche Maßnahmen zur Sanierungs- und Abwicklungsplanung von Versicherungs- und Rückversicherungsunternehmen. Die IRRD stellt – mit Blick auf die Abwicklungsplanung – für Versicherungen das dar, was die bereits 2014 erschienene BRRD (Bank Recovery and Resolution Directive) für Banken ist: ein einheitlicher Rahmen für die Abwicklungsplanung und Krisenvorsorge. So waren europäische Banken bereits in den letzten Jahren dazu angehalten, im Kontext eines einheitlichen Abwicklungsmechanismus diverse Richtlinien und Anforderungen zur Abwicklungsplanung umzusetzen und aktiv bei der Erstellung ihrer Abwicklungspläne mitzuarbeiten.

Nun hat im April 2025 auch die Europäische Aufsichtsbehörde für Versicherungswesen und betriebliche Altersversorgung, EIOPA (European Insurance and Occupational Pensions Authority), ihre ersten Entwürfe für Standards und Guidelines für die im Rahmen der IRRD ein Mandat zur Erstellung erteilt wurde, zur Konsultation gestellt. Diese befassen sich einerseits mit präventiver Sanierungsplanung und beschreiben die erforderlichen Inhalte eines Sanierungsplans [vgl. EIOPA-BoS-25-097] sowie Kriterien für die Sanierungsplanung und Methoden zur Ermittlung der Marktanteile [EIOPA-BoS-25-099]. Darüber hinaus gibt es zur mit Bezug zur Abwicklungsplanung aktuell vier Veröffentlichungen, die sich mit dem Inhalt der Abwicklungspläne [EIOPA-BoS-25-101], der Identifikation kritischer Funktionen [EIOPA-BoS-25-100], der Bewertung der Abwicklungsfähigkeit [EIOPA-BoS-25-102] sowie Maßnahmen bei Hindernissen zur Abwicklungsfähigkeit [EIOPA-BoS-25-103] beschäftigen. Der aktuelle Zeitplan der EIOPA sieht zahlreiche weitere Veröffentlichungen bis einschließlich Juli 2026 vor. Dazu gehören beispielsweise die Veröffentlichung von standardisierten Vorlagen und Formularen zur Verfahrensdokumentation, technische Regulierungsstandards zur Bewertung von Vermögen und Verbindlichkeiten im Rahmen einer Abwicklung oder auch Guidelines zur Spezifikation weiterer Szenarien mit dem Europäischen Ausschuss für Systemrisiken.

Was die aktuellen Entwürfe von Standards und Guidelines zur Abwicklungsplanung konkret beinhalten und wie Versicherer damit künftig umgehen sollten, darauf wird im Folgenden eingegangen.

Inhalt der Abwicklungspläne (EIOPA-BoS-25-101)

In ihrer zugehörigen Konsultation definiert die EIOPA zunächst, was sie unter Abwicklungsstrategien versteht. Hierzu zählen eine Reihe von Maßnahmen, die die Anwendung von Abwicklungsinstrumenten oder die Ausübung von Abwicklungsbefugnissen umfassen und in einem individuellen Abwicklungsplan dargelegt sind. Finbridge informierte bereits vor knapp einem Jahr detailliert zu möglichen Abwicklungsstrategien bei Versicherungsunternehmen.

Darauf aufbauend wird in der Konsultation detailliert dargelegt, was die EIOPA – sowohl für individuelle (Rück)Versicherer als auch im Falle von Gruppen – als notwendige Bestandteile der zu erstellenden Abwicklungspläne ansieht. Hierzu gehören zunächst Anforderungen an die Kernelemente des Plans (das heißt, einer Unternehmensbeschreibung, inklusive der kritischen Funktionen, Kerngeschäftsbereiche und einer ersten Einschätzung, inwieweit eine Abwicklung dem öffentlichen Interesse entspräche). Außerdem schlüsselt die EIOPA ihre Detailanforderungen an Abwicklungspläne dahingehend auf, was Versicherungen hinsichtlich der für die Abwicklungsplanung relevanten Unternehmensinformationen, möglicher Abwicklungsstrategien sowie Vorkehrungen zur Sicherstellung operativer Kontinuität ihrer kritischen Funktionen und Kerngeschäftsbereiche zu beschreiben haben. Auch an eine Beschreibung des Finanzierungsplans für die bevorzugten Abwicklungsstrategie(n) und zur Sicherung finanzieller Kontinuität, eine Kommunikationsstrategie für kritische Interessengruppen sowie eine detaillierte Einschätzung der Abwicklungsfähigkeit werden in der Konsultation seitens EIOPA konkrete Anforderungen gestellt. 

Identifikation kritischer Funktionen (EIOPA-BoS-25-100)

Bei kritischen Funktionen handelt es sich um Tätigkeiten, Dienstleistungen oder Geschäfte, die von einem Versicherungs- oder Rückversicherungsunternehmen für Dritte erbracht werden und nicht innerhalb eines angemessenen Zeitraums oder zu angemessenen Kosten ersetzt werden können. Zusätzlich muss bei einem Wegfall dieser Funktionen mit erheblichen Auswirkungen auf das Finanzsystem, die Realwirtschaft oder einer großen Zahl von Geschädigten zu rechnen sein. Was diese kritischen Funktionen für eine einzelne Versicherung genau sind, darüber entscheidet die Abwicklungsbehörde individuell in Zusammenarbeit mit den Versicherungsunternehmen.

In ihrer Konsultation zu kritischen Funktionen präsentiert die EIOPA nun insgesamt 13 Leitlinien, die in Zusammenhang mit der Identifikation kritischer Funktionen und der Bewertung der Abwicklungsfähigkeit stehen. Hierbei werden zunächst die verschiedenen Arten von kritischen Funktionen sowie allgemeine Anforderungen an deren Identifikation aufgeschlüsselt. Leitlinien 4 bis 8 befassen sich mit den Ausfallkriterien und den Ausfallwirkungen auf das Finanzsystem, die Realwirtschaft sowie einer großen Zahl von Versicherungsnehmern. Die Kriterien und Faktoren, mit denen angemessene Zeit- und Kostenrahmen einer Substitution zu beurteilen sind, werden in Leitlinien 9 bis 11 aufgeschlüsselt. In den weiteren Leitlinien 12 und 13 werden schließlich noch besondere Anforderungen für grenzüberschreitende Tätigkeiten und im Falle von Gruppenzugehörigkeiten gestellt.

Bewertung der Abwicklungsfähigkeit (EIOPA-BoS-25-102)

Abwicklungsbehörden müssen gemäß Artikel 13 und 14 der IRRD bewerten, ob Assekuranzen abwicklungsfähig sind – ohne dabei auf außerordentliche finanzielle Unterstützung aus öffentlichen Mitteln zurückzugreifen.

Abwicklungsfähigkeit bedeutet in diesem Zusammenhang, dass es glaubwürdig und durchführbar ist, eine Assekuranz entweder im regulären Insolvenzverfahren zu liquidieren oder sie durch Anwendung von Abwicklungsinstrumenten und Ausübung der Abwicklungsbefugnisse seitens der Abwicklungsbehörde abzuwickeln. Wie bei Banken ist hierbei die Klarstellung notwendig, dass eine Abwicklung keinesfalls bedeutet, dass die Assekuranz vollständig vom Markt verschwindet. Stattdessen zielt eine Abwicklung auf die Aufrechterhaltung von mindestens den kritischen Funktionen ab.

Die Bewertung der Abwicklungsfähigkeit erfüllt dabei zwei wesentliche Funktionen:

  • die Einschätzung, ob Abwicklungsmaßnahmen im öffentlichen Interesse liegen, weil dadurch die Abwicklungsziele besser erreicht werden können als durch eine Liquidation im regulären Insolvenzverfahren, sowie

  • die Erstellung und laufende Aktualisierung des Abwicklungsplans durch die Abwicklungsbehörde.

Die nun veröffentliche Konsultation zur Bewertung der Abwicklungsfähigkeit gibt in ihrer Leitlinie 1 allgemeine Prinzipien für die Bewertung der Abwicklungsfähigkeit vor. Leitlinie 2 liefert darauf aufbauend den Abwicklungsbehörden einen Rahmen für die Bewertung, ob eine Abwicklung im regulären Insolvenzverfahren glaubwürdig und durchführbar erscheint. Leitlinie 3 liefert Orientierung bei der Identifikation einer bevorzugten Abwicklungsstrategie, und mithilfe von Leitlinie 4 kann deren Glaubwürdigkeit und Durchführbarkeit weitergehend beurteilt werden.

Für die Bewertung der Abwicklungsfähigkeit hat die Abwicklungsbehörde gemäß Art. 13 Abs. 3 IRRD mindestens die im Anhang der IRRD festgelegten Dimensionen zu prüfen, die nun durch die Leitlinien 5 bis 13 konkretisiert werden. Diese untergliedern sich wie folgt:

  • Leitlinie 5 – Operationelle Kontinuität

  • Leitlinie 6 – Zugang zu Finanzmarktinfrastrukturen (FMIs)

  • Leitlinie 7 – Separierbarkeit

  • Leitlinie 8 – Verlustabsorbtions- und Rekapitalisierungskapazitäten

  • Leitlinie 9 – Liquidität und Finanzierung in der Abwicklung

  • Leitlinie 10 – Informationssysteme und Datenanforderungen

  • Leitlinie 11 – Kommunikation

  • Leitlinie 12 – Governance

  • Leitlinie 13 – Bewertung der Plausibilität einer Abwicklungsstrategie und ihrer Auswirkungen

Maßnahmen bei Hindernissen zur Abwicklungs-fähigkeit (EIOPA-BoS-25-103)

Die Abwicklungsbehörden können gemäß Artikel 15 der IRRD wesentliche Hindernisse für die Abwicklungsfähigkeit des Versicherungs- oder Rückversicherungsunternehmens feststellen. Nach Mitteilung derselben hat das Unternehmen vier Monate Zeit, um geeignete Gegenmaßnahmen vorzuschlagen. Sollten diese seitens der Abwicklungsbehörde als unzureichend zur Beseitigung der Abwicklungshindernisse angesehen werden, legt die Abwicklungsbehörde alternative Maßnahmen zur Beseitigung der Abwicklungshindernisse fest. Die möglichen alternativen Maßnahmen sind in Artikel 15 (5) der IRRD beschrieben und werden in den jetzt veröffentlichten elf Leitlinien zur Detaillierung der Maßnahmen zur Reduzierung der Hindernisse der Abwicklungsfähigkeit und den Umständen unter denen diese ergriffen werden können weiter präzisiert.

Grundsätzlich gilt: alternative Maßnahmen können angeordnet werden, wenn sie geeignet, erforderlich und verhältnismäßig sind, um die wesentlichen Hindernisse für die wirksame Umsetzung der bevorzugten Abwicklungsstrategie zu beseitigen. Darüber hinaus wird klar herausgestellt, dass alle alternativen Maßnahmen in angemessener Weise angewandt werden sollen und jeglicher Eingriff in die Rechtsstruktur sowie die operative und finanzielle Strategie so weit wie möglich zu minimieren ist. Ebenso sind im Voraus von der Abwicklungsbehörde die potenziellen Auswirkungen einer alternativen Maßnahme auf die Solidität und Stabilität der laufenden Geschäftstätigkeit des betreffenden Unternehmens und auf den Binnenmarkt zu berücksichtigen. Zur Beseitigung von Abwicklungshindernissen wird in der Konsultation zunächst auf die Durchsetzbarkeit von konzerninternen Vereinbarungen und Dienstleistungen eingegangen. Dann folgen unter anderem die Möglichkeiten erhöhter Informationsanforderungen, Tätigkeitsbeschränkungen, Änderungen in der Rückversicherungsstrategie, und strukturelle Vereinfachungen. Zu jeder dieser und aller weiteren alternativen Maßnahmen werden die Umstände beschrieben, unter denen diese ergriffen werden können, sowie Details zur Umsetzung genannt.

Regulatorische Realität für Versicherer: Lehren aus einem Jahrzehnt Bankenabwicklung

Um greifbarer zu machen, welche konkreten Anforderungen im Rahmen der Abwicklungsfähigkeit künftig auf Versicherungsunternehmen zukommen, lohnt sich ein Blick auf die Bankenseite. Denn viele der regulatorischen Erwartungen, die jetzt auf Versicherer zukommen, wurden an Banken bereits vor fast über einem Jahrzehnt adressiert.

Dabei lässt sich erkennen, dass die Grundprinzipien der Abwicklungsfähigkeit von Banken wie auch von Versicherern große Ähnlichkeiten zueinander aufweisen.
In der folgenden Tabelle werden dazu exemplarisch für die Zugänge zu Finanzmarktinfrastrukturen (FMI) die jeweiligen Anforderungen der EIOPA und des SRB (Single Resolution Board) gegenübergestellt – wobei das SRB als zentrale Abwicklungsbehörde für Banken in der EU fungiert. Die Anforderungen an Finanzmarktinfrastrukturen für Versicherer entstammen hierbei dem aktuellen Konsultationsentwurf zur Bewertung der Abwicklungsfähigkeit; die Anforderungen an Banken sind den 2020 erschienen Expectations for Banks des SRB entnommen und werden in einer Operational Guidance des SRB konkretisiert:

Anforderungen an Finanzmarktinfrastrukturen für Versicherungen sowie Banken im Abwicklungskontext

Tabelle 1: Anforderungen an Finanzmarktinfrastrukturen für Versicherungen sowie Banken im Abwicklungskontext

Am Beispiel des Zugangs zu Finanzmarktinfrastrukturen wird deutlich, wie eng die Anforderungen an die Abwicklungsfähigkeit von Versicherern und Banken beieinanderliegen. Die inhaltliche Nähe zeigt sich nicht nur im Bereich FMI, sondern zieht sich durch weite Teile des regulatorischen Rahmens. Diese Tatsache bietet eine gute Chance für Versicherer, die Parallelen zur Bankenwelt strategisch für ihre Zwecke zu nutzen:

So können Versicherungsunternehmen erheblich davon profitieren, auf die Erfahrungen aus der Bankenabwicklungsplanung zurückzugreifen – insbesondere, um typische Fallstricke zu vermeiden und das Thema von Anfang an strategisch durchdacht aufzusetzen. Der damit verbundene Umsetzungsaufwand sollte keinesfalls unterschätzt werden. Wer jedoch frühzeitig startet, die relevanten Fachbereiche einbindet und klare Zuständigkeiten, Verantwortlichkeiten und Entscheidungswege definiert, kann den hier vorgestellten regulatorischen Anforderungen gezielt begegnen.

Mit ihrer Komplexität und der Vielzahl betroffener Bereiche ist die Abwicklungsplanung somit ein Thema, das von Anfang an volle Aufmerksamkeit und eine sorgfältige Steuerung verdient.

Finbridge als Ihr Partner bei der Erfüllung regulatorischer Anforderungen

Finbridge unterstützt Sie bei der Planung und Umsetzung aller regulatorischer Anforderungen an die Sanierungs- und Abwicklungsplanung – individuell auf die Bedürfnisse Ihrer Versicherung zugeschnitten. Neben langjähriger Erfahrung bei der Umsetzung des Sanierungs- und Abwicklungsgesetz für Kreditinstitute und Wertpapierfirmen verfügen unsere Experten über große Expertise bei der Durchführung von Vorstudien und anschließenden Implementierungen im Rahmen aufsichtlich getriebener Projekte. Durch unser fundiertes Fachwissen in den Bereichen Unternehmens- und Finanzsteuerung, gepaart mit umfangreicher Praxiserfahrung bei der Umsetzung regulatorischer Anforderungen, können wir flexibel auf die Bedürfnisse Ihrer Versicherung eingehen. Wie bei allen Umsetzungsprojekten begleiten wir Sie, falls gewünscht, auch in allen Belangen der Kommunikation mit den Abwicklungsbehörden, bis deren Erwartungen final erfüllt sind.

Haben Sie noch Fragen zu den organisatorischen und technischen Anforderungen der IRRD oder wollen von unserem fundierten Erfahrungswissen im Bereich der Sanierungs- und Abwicklungsplanung profitieren? Unsere Experten unterstützen Sie gerne mit Ihrem Know-how bei Vor- und Klärungsgesprächen, Planung sowie Umsetzung der regulatorischen Anforderungen.


Team

 

Dr. Julia Mehlitz

Senior Consultant

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Elke Settgast

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Senior Manager

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