Die T+1-Abwicklungsumstellung in Europa: Herausforderungen und Chancen

Photo by ceye2eye on Unsplash, Download 30.01.2024

 

Die geplante Umstellung auf einen T+1-Abwicklungszyklus dürfte eine spürbare Veränderung für die europäische Finanzmarktinfrastruktur in den kommenden Jahren mit sich bringen. Nach der erfolgreichen Implementierung in den USA im Mai 2024 steht Europa nun vor der Herausforderung, diesem Beispiel zu folgen. Die Verkürzung des Abwicklungszyklus von derzeit T+2 (zwei Geschäftstage nach dem Handelstag) auf T+1 (ein Geschäftstag nach dem Handelstag) verspricht erhebliche Vorteile für die Markteffizienz und Risikominimierung, bringt jedoch auch besondere Herausforderungen mit sich.

Doch was bedeutet diese Veränderung konkret, und wie sollte sich die Branche auf die Umstellung vorbereiten? Dieser Artikel beleuchtet die Gründe, Herausforderungen und Auswirkungen der T+1-Einführung.

Reform der Wertpapierabwicklung in der Europäischen Union

Am 12. Februar 2025 veröffentlichte die EU-Kommission einen Vorschlag zur Gesetzesänderung der Verordnung über Wertpapierzentralverwahrer (engl. Central Securities Depositories Regulation – kurz: CSDR). Darin wurde vorgeschlagen, den Abwicklungszyklus für alle Geschäfte mit übertragbaren Wertpapieren – wie Aktien oder Anleihen –, die an EU-Handelsplätzen getätigt werden, von zwei Tagen („T+2“) auf einen Tag („T+1“) zu reduzieren [1]. Der Abwicklungszyklus ist dabei der Zeitraum zwischen dem Handel („T“) und der Abwicklung, bei der dem Käufer das Wertpapier und dem Verkäufer die Zahlung übertragen wird.

Seit 2015 gilt in Europa ein harmonisierter T+2-Zyklus, doch aufgrund des technischen Fortschritts und der Weiterentwicklung der Finanzmärkte bekennen sich immer mehr Kapitalmärkte zur T+1-Abwicklung. Dies steigert einerseits die Effizienz der Märkte, führt andererseits jedoch zu Fehlausrichtungen zwischen den globalen Handelsplätzen und den Finanzmärkten der EU, was Kosten und Risiken für die europäischen Marktteilnehmer verursacht [1].

Aufgrund der hohen Komplexität der EU-Finanzmärkte – bedingt durch die Vielzahl der verschiedenen beteiligten Akteure, Systeme und Währungen – wurde ein klarer Legislativvorschlag als notwendig erachtet. Dadurch soll eine reibungslose Koordination des Umstellungsprozesses auf T+1 und dessen Planungs- sowie Rechtssicherheit gewährleistet werden [2]. Zusätzlich soll die Gesetzesänderung Anreize für die Marktteilnehmer schaffen, technische Entwicklungen für den T+1 Übergang zu fördern anstatt dies bloß als Empfehlung zur Kenntnis zu nehmen [3].

Durch die Verflechtung der europäischen Finanzmärkte bietet sich dementsprechend eine gemeinsame Planung mit dem Vereinigten Königreich und der Schweiz an. Ziel ist es, zeitgleich mit der EU einen einheitlichen und verkürzten Abwicklungszyklus zu etablieren, der grenzüberschreitende Risiken reduziert und die Effizienz des internationalen Wertpapierhandels nachhaltig steigert [2].

Chancen der Änderung

Mit ihrem Vorschlag möchte die Kommission die Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit der EU-Kapitalmärkte gemäß ihrer SUI-Strategie¹ stärken. Hierbei setzt der Übergang zu T+1 bei der Steigerung der Effizienz von Nachhandelsprozessen an, welche das Grundgerüst einer erfolgreichen Spar- und Investitionsunion bilden [2].

Ein verkürzter Abwicklungszyklus fördert einen liquideren Kapitalmarkt, da Investoren die dadurch schneller freigesetzten Mittel für neue Investitionen nutzen können – was das Handelsvolumen anhebt [1]. Gleichzeitig sinken die Kosten, weil weniger Kapital als Sicherheiten bei zentralen Gegenparteien (CCP) hinterlegt werden muss, um Transaktionen abzusichern.

Genauer geht aus der Analyse der ESMA hervor, dass sich geclearte Positionen in der T+1-Umgebung um 47% reduzieren. Dies entspricht einer Reduzierung um ca. 30 Billionen Euro in Aktien-bezogenen Produkten und 25 Billionen Euro in Anleihen. Entsprechend sinken die zu hinterlegenden Sicherheiten (cash collaterals) bei den zentralen Gegenparteien (CCP) um 42%, was täglich ca. 2,4 Billionen Euro ausmachen könnte, welche den Marktteilnehmern zukünftig als liquide Mittel direkt zur Verfügung stehen. Im Detail beziehen sich hier 80% der Ersparnisse auf Aktien und die restlichen 20% auf Staatsanleihen [3]. Die Ergebnisse basieren auf einer Simulation der Reduzierung von zu hinterlegenden Sicherheiten bei einigen CCPs, meistens über einen Zeitraum von drei Monaten. Sie sind konsistent mit der beobachteten Entwicklung auf dem U.S. Wertpapiermarkt nach dem dortigen Wechsel auf T+1 am 28.05.2024.

Des Weiteren impliziert ein verkürzter Abwicklungszyklus eine Minderung potenzieller Risiken, da das Zeitfenster für unerwünschte Ereignisse verkleinert wird. Als Beispiel führt die Kommission hier das Kontrahenten-Risiko an, welches schlagend wird, falls eine der beiden Transaktionsparteien ausfällt und ihrer Verpflichtung nicht nachkommen kann. Zu guter Letzt wird eine Verkürzung des Abwicklungszyklus eine Modernisierung des Finanzsystems durch eine verstärkte Automatisierung der Nachhandelsprozesse mit sich bringen.

¹ Die Spar- und Investitionsunion (SUI) ist eine Initiative der Europäischen Kommission zur Stärkung des Wohlstands und der Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union. Ziel ist die Entwicklung einer Strategie zur Förderung des Vermögens privater Haushalte, indem die Ersparnisse der EU-Bürger durch angemessene Renditen erhöht und gleichzeitig die Finanzierungsmöglichkeiten von Unternehmen erweitert werden [6].


Herausforderungen und Risiken

Die Verkürzung des Abwicklungszyklus auf T+1 erfordert eine signifikante Beschleunigung der Prozesse und zwingt vor allem kleine und mittelständische Unternehmen zu zusätzlichen Investitionen in IT-Systeme und Automatisierung. Insbesondere müssen Prozesse wie der Austausch von Allokations- und Bestätigungsinformationen, sowie die Verarbeitung standardisierter Abwicklungsanweisungen (SSI) deutlich schneller erfolgen, um den verkürzten Zeitrahmen einzuhalten.

Auch das effiziente Fehler-Management gewinnt an Bedeutung, da Unstimmigkeiten im kritischen Fall innerhalb eines Zeitfensters von etwa zwei Stunden behoben werden müssen – im Vergleich dazu stehen in den USA Investoren mehr als vier Stunden zur Verfügung [3]. Zudem erfordert das Collateral- und Margin-Management eine Anpassung der bisherigen Verfahren, um auch Transaktionen, die nahe am Handelsende getätigt werden, adäquat abzusichern. Gleichzeitig werden ein präzises Netting und eine lückenlose Reconciliation aller Transaktionen essenziell, da sämtliche Geschäftsprozesse innerhalb eines einzigen Geschäftstages abgeschlossen sein müssen.

Diese Herausforderung demonstriert warum eine adäquate Vorbereitung notwendig ist: Basierend auf gesammeltem Feedback nach der Umstellung auf T+1 in Nordamerika, wurde die benötigte Prozessbeschleunigung dort kurzfristig durch mehr Mitarbeiter abgedeckt. An diesem Beispiel wird deutlich, dass langfristig die Abwicklungsprozesse weiter standardisiert und automatisiert werden müssen [3].

Abbildung 1: Nachhandelsprozesse [3].

Als Beispiel für die Herausforderungen bei der Umstellung auf T+1 führt die ESMA den erhöhten Druck auf den Markt für Wertpapier-Darlehen an. Dieser Druck entsteht einerseits durch Market-Maker, die in kürzerer Zeit Wertpapiere erwerben müssen, die sie nicht in ihren Beständen haben, für die sie aber weiterhin Liquidität bereitstellen müssen. Andererseits entsteht dieser Druck durch die potenziell geringere Kreditbereitschaft traditioneller Kreditgeber wie Vermögensverwalter, wenn diese befürchten, dass sie ihre verliehenen Wertpapiere für neue Geschäfte im verkürzten Nachhandelszeitraum nicht rechtzeitig zurückerhalten können [3]. Bisher blieben bei Abschluss eines neuen Geschäfts zwei Tage Zeit, um eventuell benötigte verliehene Wertpapiere zurückzufordern – mit T+1 bleibt dafür maximal ein Tag Zeit. Hierbei sollte erwähnt werden, dass T+1 eine Obergrenze darstellt und es den Handelsparteien nach wie vor freisteht, ihre Geschäfte auch schneller abzuwickeln. All dies könnte jedoch zu geringerer Aktivität, höheren Kreditkosten (erhöhten Gebühren) und kürzeren Kreditlaufzeiten führen.

Timeline des Umstellungsprozesses auf T+1

Abbildung 2: Eine Roadmap zu T+1 in der EU [3].

Den Teilnehmern der Finanzindustrie wird für die Umstellung auf die T+1-Abwicklung ein Dreiphasenmodell vorgeschlagen. In der ersten Phase, die bis 12 Monate nach dem Legislativvorschlag der Kommission (konkret bis zum 18. November 2025) läuft, steht die Entwicklung von Lösungen für technische Herausforderungen im Vordergrund, die mit der Umstellung verbunden sind. Gefolgt wird diese erste Phase von einer Phase der technischen Implementierung besagter Lösungen bis zum Ende des Jahres 2026. Ab dem 01.01.2027 sollte mit einer Testphase begonnen werden, um eine reibungslose Umstellung zum 11.10.2027 zu gewährleisten. Die ESMA empfiehlt eine Mindestdauer der Testphase von 6 Monaten. Die lange Dauer, welche die ESMA und EU-Kommission zur technischen Entwicklung und Umsetzung einplanen, lässt bereits den erheblichen Aufwand vermuten, der für die betroffenen Institute dahintersteckt.

Vorbereitungen anderer Märkte

Andere Märkte in Regionen wie Nord- und Teile von Südamerika, sowie Indien haben bereits auf T+1 gewechselt. Während Indien den Umstellungsprozess phasenweise für verschiedene Finanzprodukte einführte, wird in Europa ein Wechsel zu T+1 nach dem amerikanischen Beispiel für alle Wertpapiere zum 11.10.2027 gleichzeitig vorgesehen.

Wie bereits erwähnt, ist auch im Vereinigten Königreich und der Schweiz eine parallele Umstellung zur EU vorgesehen. Dies bestätigen die Analyse der Accelerated Settlement Taskforce vom 28.03.2024 [4], sowie die Empfehlung der swissSPTC vom 23.01.2025 [5].

Ausblick

Wichtig zu erwähnen ist, dass es sich bei dem Abwicklungszyklus von T+1 stets um eine Obergrenze handelt. Es ist Unternehmen weiterhin freigestellt auch früher ihre Geschäfte abzuwickeln, sofern sie dies als vorteilhaft erachten und über die notwendigen technischen Voraussetzungen verfügen. Diesbezüglich könnten zukunftsorientiert mit der T+1 Umstellung bereits Vorkehrungen in den technischen Entwicklungen getroffen werden, um schnellere Abwicklungen zu ermöglichen. Diese Überlegungen sind nicht so weit hergeholt, in Anbetracht der Tatsache, dass die ESMA bereits Ideen zur untertägigen (T+0) Abwicklung veröffentlicht hat.

Fazit

Mit T+1 steht dem europäischen Finanzmarkt ein anspruchsvoller, aber lohnender Wandel bevor. Der kürzere Abwicklungszyklus wird den Markt robuster machen und Liquidität freisetzen, sowie langfristig die internationale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Märkte erhöhen – auch wenn der Weg dorthin für viele Häuser mit großen Anstrengungen verbunden ist.

Finbridge als Ihr Partner bei der Umstellung

Finbridge verfolgt die Entwicklungen rund um die T+1 Abwicklungsumstellung intensiv, sowohl in den USA als auch die Vorbereitungen in Europa. Unsere Expertinnen und Experten analysieren kontinuierlich die Diskussionen und Empfehlungen von der ESMA, der Europäischen Kommission und anderen relevanten Institutionen. So stellen wir sicher, jederzeit über die neuesten Entwicklungen informiert zu sein. Wenn Sie von der bevorstehenden T+1-Umstellung betroffen sind, sollten Sie sich frühzeitig mit den nötigen Anpassungen Ihrer Systeme und Prozesse auseinandersetzen. Unsere Finbridge-Expertinnen und Experten können Sie dank unseres umfangreichen Fachwissens in der Wertpapierabwicklung sowie unserer weitreichenden umsetzungsorientierten Praxiserfahrung unterstützen und die für Sie relevanten Herausforderungen identifizieren. Sie haben Fragen zu den praktischen Auswirkungen der T+1-Umstellung auf Ihr Unternehmen? Unsere Finbridge-Experten stehen Ihnen mit ihrem fachlichen Know-how gerne zur Seite.

Quellen

[1] Europäische Kommission, T+1 Settlement, 14.02.2025. https://finance.ec.europa.eu/news/t1-settlement-2025-02-14_en, zuletzt abgerufen am 04.04.2025.

[2] VERORDNUNG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 909/2014 in Bezug auf eine Verkürzung des Abwicklungszyklus in der Union. https://finance.ec.europa.eu/document/download/9004390f-0d85-4f2a-9c80-7307495a2bd7_de?filename=250212-legislative-proposal-csdr_de.pdf, zuletzt abgerufen am 04.04.2025.

[3] Report: ESMA assessment of the shortening of the settlement cycle in the European Union, 18.11.2024. https://www.esma.europa.eu/sites/default/files/2024-11/ESMA74-2119945925-1969_Report_on_shortening_settlement_cycle.pdf, zuletzt abgerufen am 04.03.2025.

[4] Accelerated Settlement Taskforce Report, März 2024. https://assets.publishing.service.gov.uk/media/6603f31bc34a860011be762c/Accelerated_Settlement_Taskforce_Report.pdf, zuletzt abgerufen am 04.03.2025.

[5] The Swiss Securities Post-Trade Council (swissSPTC) recommends to move to T+1 in October 2027, 23.01.2025. https://www.six-group.com/dam/download/sites/swiss-sptc/t1/swiss-sptc-recommendation-t1.pdf, zuletzt abgerufen am 04.03.2025.

[6] Pressemitteilung: Kommission startet Konsultation zur Spar- und Investitionsunion, 03.02.2025. https://germany.representation.ec.europa.eu/news/kommission-startet-konsultation-zur-spar-und-investitionsunion-2025-02-03_de, zuletzt abgerufen am 04.04.2025.


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