Das Schuldscheindarlehen: Ein Nischeninstrument im Aufschwung

Photo by oakie on Unsplash, abgerufen am 25.11.2019

Photo by oakie on Unsplash, abgerufen am 25.11.2019

 

In den letzten Jahren hat ein uraltes deutsches Finanzierungsinstrument, der Schuldschein, zunehmend an Relevanz in der Unternehmensfinanzierung gewonnen. Mit einem Volumen von fast EUR 21 Milliarden in den ersten neun Monaten dieses Jahres (2019) wird der Aufwärtstrend seit 2014 fortgesetzt. Das traditionelle urkundenbasierte Instrument, das lange als veraltet galt, zieht nun zunehmend international Investoren an. Mit niedrigeren Dokumentationspflichten als eine Anleihe, höheren Transaktionsvolumina als ein klassischer Kredit, kombiniert mit einem hohen Grad an Standardisierung, besticht der Schuldschein  als sichere und attraktive Investmentmöglichkeit und als unkomplizierte Art der externen Finanzierung für Unternehmen. In diesem Überblicksartikel erklären wir kurz was hinter dem aufstrebenden Instrument steckt, fassen seine Hauptmerkmale zusammen und werfen einen Blick auf die aktuelle Marktsituation.

Was ist ein Schuldschein?

Der Schuldschein ist ein urkundenbasiertes Finanzierungsinstrument, welches Charakteristika einer Anleihe, eines klassischen Kredits und eines Konsortialkredits vereint. Da er gemäß BGB als bilaterale private Platzierung geführt wird, bleibt er unberührt von komplexen MiFID-II-Regularien. Des Weiteren fällt der Schuldschein weder unter das Wertpapierprospektrecht und die damit verbunden Auflagen, noch sind umfangreiche  Dokumentationspflichten  zu erfüllen. Damit bietet der Schuldschein gleichzeitig einen hohen Grad an Standardisierung und Flexibilität.

Verglichen mit der Emission einer Anleihe, ermöglicht der Schuldschein einen erheblich günstigeren und zeitlich effizienteren Emissionsprozess. Als unbesicherter, bilateraler Kredit mit geringen Kreditsicherungsabsprachen ermöglicht der Schuldschein Volumina, die über dem eines klassischen Kredits liegen, ohne komplexe und teure Prozesse einer Anleiheemission oder eines Konsortialkredits einzufordern. Der Schuldschein ist somit auch eine wertvolle Finanzierungsoption für kleinere Unternehmen ohne eigenen Zugang zum Kapitalmarkt.

Typischerweise agieren im Schuldscheinprozess drei Akteure: der Emittent, der Investor und der Arrangeur, traditionell eine Bank. Klassische Investoren am Schuldscheinmarkt sind Institutionen, wie Banken, Versicherer oder große Unternehmen, die nach einer Buy-and-Hold-Möglichkeit suchen. Emittenten sind in der Regel Unternehmen mit einem Jahresumsatz von EUR 150 Millionen bis EUR 5 Milliarden. Banken fungieren am Markt als Arrangeur für den Schuldschein, indem sie Verhandlungen leiten und Beratungsleistungen anbieten. Häufig agieren sie zugleich als Investor.

Die Hauptmerkmale des Schuldscheins

Während sich eine klassische Anleihe für gewöhnlich erst ab einem Volumen von ca.EUR 500 Millionen lohnt, sind Schuldscheinemissionen bereits ab etwa EUR 10 Millionen rentabel. Während das typische Volumen eines Schuldscheindarlehens zwischen EUR 20 und 500 Millionen liegt, sind durch neue digitale Offensiven (Plattform-Initiativen), und die damit verbundenen Effizienzsteigerungen, deutlich niedrigere Volumina möglich. Auch nach oben ist noch Luft: Erst kürzlich wurde ein Transaktionsvolumen von über EUR 2 Milliarden erreicht.

Im Gegensatz zu klassischen Krediten, die oft zur Finanzierung des operativen Geschäfts verwendet werden, kommen Schuldscheindarlehen vorrangig zur Finanzierung von M&A-Aktionen und Langzeitprojekten zum Einsatz. Die Laufzeit beträgt meist zwischen 3 und 10 Jahren und ist daher als mittel- oder langfristige Finanzierung zu verorten. Als private Platzierung ist der Schuldschein ein hochflexibles Instrument, das eine passgenaue Finanzierung für Unternehmen ermöglicht. Das Kapital kann, ähnlich wie bei Konsortialkrediten, von mehreren Investoren zu fixen oder flexiblen Raten akquiriert werden.

Der Boom des Schuldscheines & die Digitalisierung

Der Aufschwung auf dem Schuldscheinmarkt wird in letzter Zeit begleitet von einer Vielzahl von aufkommenden digitalen Plattformen, welche eine digitale Abwicklung des Schuldscheinprozesses anbieten. Tatsächlich bieten digitale Schuldscheinlösungen erhebliches Effizienzsteigerungspotenzial hinsichtlich Standardisierung, Transparenz und Zeitersparnis. Finden Sie heraus, warum der Schuldschein aktuell ein Digitalisierungs-Inkubator ist:
Der Schuldschein: Ein Inkubator für Digitalisierung

Weil Schuldscheindarlehen nicht öffentlich platziert werden, sind Oppositionen und Möglichkeiten kaum sichtbar. Banken spielen daher traditionell eine übergeordnete Rolle, da sie Investoren und Emittenten zusammenbringen. Oft haben Emittenten von Schuldscheinen weder ein externes Rating, noch verfügen sie über andere öffentlich gehandelte Titel, wie Anleihen oder CDS, die ihr Risiko widerspiegeln können. In dieser Hinsicht wirken Banken auch als Vertrauensvermittler für Investoren. Aber auch ohne die externe Bewertung vieler Emittenten schätzen Bankexperten den Markt generell als Investmentgrade-tauglich ein (BBB oder leicht niedriger) [1] [2] .

Im Vergleich zu einer Anleihe ist der Emissions-Prozess erheblich schneller und wesentlich weniger komplex. Während bei Anleihen die Erstellung eines Wertpapierprospekts und ausführliche Dokumentationen vorgeschrieben sind (bis zu 600 Seiten), kann die gesamte Dokumentation eines Schuldscheins in 25 Seiten erfasst werden. Als erster Schritt beauftragt der Emittent einen Arrangeur und/oder andere dritte Akteure, wie beispielsweise Rechtsberatungen. Nach Erstellung der Dokumentation und des Termsheets (Strukturierung) folgt die Präsentation vor den potenziellen Investoren und die Orderbuch-Erstellung. Das Settlement kann bereits nach 6-10 Wochen erreicht werden. Über den Lebenszyklus des Schuldscheins hinweg verpflichtet sich der Emittent zu regelmäßigen Informationsupdates.

Abbildung 1: Der typische Schuldschein-Emissions-Prozess für einen Erstemittenten. Quelle: [1]. Design: Finbridge.

Abbildung 1: Der typische Schuldschein-Emissions-Prozess für einen Erstemittenten. Quelle: [1]. Design: Finbridge.

Verglichen mit einem Bankkredit ist der Schuldschein weniger restriktiv bezüglich Kreditsicherungsabsprachen, da das Kapital nicht als Kredit einer Bank vergeben, sondern als Investition angesehen wird. Ein Grund für die steigende Popularität des Schuldscheins sind daher sicherlich auch die buchhalterischen Erfassungsregeln. Als ein urkundenbasiertes Instrument kann der Schuldschein mit seinem Nominalwert mit Abgrenzungswerten erfasst und muss nicht nach Marktwert verbucht werden. Das macht den Schuldschein unkompliziert in der Verarbeitung sowie resilienter gegenüber Marktschwankungen.

Die Finanzierungskosten, wie etwa Zinszahlungen, sind beim Schuldschein für gewöhnlich ein wenig höher als bei einer Anleihe. Die Gründe dafür sind zweierlei: Erstens ist der Schuldschein ein unbesichertes Darlehen, die Investoren verlangen daher eine höhere Risiko-Prämie. Zweitens ist der Schuldschein eher ein illiquides Instrument. Es gibt keinen allgemeinen sekundären Handelsmarkt und die Amortisierung erfolgt via Bullet-Zahlungen. Dem gegenüber stehen geringe Transaktionskosten, begünstigt durch die vereinfachten Dokumentationspflichten.

Was ist los auf dem Markt?

Der Schuldscheinmarkt ist seit der Finanzkrise stark gewachsen, was vor allem auf die illiquiden, volatilen und erschöpften Bankmärkte zurückzuführen ist. Ein signifikanter Aufwärtstrend ist jedoch seit dem Jahr 2014 zu verzeichnen. Das stetige Wachstum wird seither unterstützt von einer zunehmenden Standardisierung, der verstärkten Akzeptanz als sicheres und komplementäres Instrument auf dem Markt, erhöhter M&A-Aktivität sowie der wachsenden Internationalität der Akteure. Lag der Anteil der Nicht-DACH-basierten Emittenten 2015 bei nur 8,3%, sind es inzwischen bis zu 31,6% (2019, Jan-Sept). Vor allem in Frankreich, einem Markt, der schon durch seine Euro-Private-Placements (Euro-PP, [6]) mit dem Produkt vertraut ist, sind erhöhte Aktivitäten zu beobachten.

Abbildung 2: Evolution des Schuldscheinmarktes: Totales Transaktionsvolumen in Milliarden EUR (Säulen, linke Achse) und Anzahl an Deals (Linie, rechte Achse). Die rote Säule markiert das Volumen an vorausgesagten Deals für Q4. Quelle: [3]*,[4]. Desi…

Abbildung 2: Evolution des Schuldscheinmarktes: Totales Transaktionsvolumen in Milliarden EUR (Säulen, linke Achse) und Anzahl an Deals (Linie, rechte Achse). Die rote Säule markiert das Volumen an vorausgesagten Deals für Q4. Quelle: [3]*,[4]. Design: Finbridge.

Im Jahr 2018 betrug das totale Transaktionsvolumen ca. EUR 23,4 Milliarden und verfehlte damit das bisherige Rekordvolumen von EUR 28,5 Milliarden von 2016. Die Anzahl der Deals hingegen verzeichnete einen leichten Anstieg (135 zu 129). Auch das durchschnittliche Transaktionsvolumen erreichte seinen bisherigen Höchststand 2016 mit EUR 221 Million pro Deal, während es die letzten drei Jahre bei ca. EUR 175 Million konstant blieb. Für 2019 ist die Aussicht dagegen positiv. Schon bis September dieses Jahres ergab sich ein Gesamtvolumen von ca. EUR 21 Milliarden mit weiteren Deals im Wert von ca. EUR 6 Milliarden in der Pipeline für Q4.

Obwohl der Schuldschein besonders für Unternehmen attraktiv ist, die keinen eigenen Zugang zum Kapitalmarkt haben, dominieren dennoch große Konzerne die Zahlen hinsichtlich des Transaktionsvolumens. Bis Oktober des Jahres 2019 betrugen die drei größten Deals EUR 2,1 Milliarden (ZF Friedrichshafen AG), EUR 1 Milliarde (Dr. Ing HFC Porsche) und EUR 800 Millionen (Lufthansa AG). Die meisten Emittenten stammen aus dem industriellen Sektor, auch wenn der Anteil der Emittenten aus den Sektoren Logistik, Handel und Dienstleistungen zunimmt.

Auch wenn Banken traditionell als Arrangeure für Schuldscheine auftreten, stellen sie zugleich auch die größte Investorengruppe dar. Die Statistiken werden regelmäßig angeführt von öffentlichen Banken (Landes- und Genossenschaftsbanken), dicht gefolgt von Privatbanken. Die Top drei Investoren sind allesamt Landesbanken: LBBW, BayernLB und Helaba. Die LBBW investierte bis Ende Q3 fast EUR 9,5 Milliarden und partizipierte an 42 Deals. Die BayernLB investierte rund EUR 6,7 Milliarden und war in 20 Deals involviert. Die Helaba, mit einem totalen Volumen von EUR 5,2 Milliarden, war bis Ende September an 26 Deals beteiligt.

Abbildung 3: Die 10 größten Investoren in 2019 (Jan-Sept) gemäß Anteil des totalen Transaktionsvolumens (in Prozent) und der Anzahl der Deals (schattiger Bereich). Source: [3]. Design: Finbridge.

Abbildung 3: Die 10 größten Investoren in 2019 (Jan-Sept) gemäß Anteil des totalen Transaktionsvolumens (in Prozent) und der Anzahl der Deals (schattiger Bereich). Source: [3]. Design: Finbridge.

Fazit

Der Schuldschein hat sich vom traditionellen Nischen-Produkt zu einer echten Alternative für Corporate Financing entwickelt: Emittenten schätzen den unkomplizierten und vergleichsweise günstigen Emissionsprozess und profitieren dabei von der fortgeschrittenen Standardisierung. Im Rahmen der Liquiditätsanhäufung und der fehlenden Investitionsmöglichkeiten der Post-Krisen-Jahre, kam der Schuldschein als relativ sichere Anlage mit positivem Kupon für Investoren sehr gelegen.

In den letzten Jahren haben Digitalisierungsoffensiven zusätzlich den Boom des Schuldscheines unterstützt, indem sie sowohl größere als auch kleinere Transaktionsvolumina wirtschaftlich gemacht, und einen höheren Grad an Standardisierung und mehr Prozesstransparenz ermöglicht haben.

Wir verfolgen zukünftige Entwicklungen am Schuldscheinmarkt mit großem Interesse und halten Sie über die neuesten Trends und Entwicklungen auf dem Laufenden.


QUELLEN UND ANMERKUNGEN

[1] “Private Placement of Debt Study”, European Commission, 2017, besucht am 25.11.2019. https://ec.europa.eu/info/sites/info/files/180216-study-private-placements_en.pdf

[2] Financial Career Community Lexikon, Website, besucht am 25.11.2019. https://web.archive.org/web/20151230015432/http://www.financial-career.de:80/community/lexicon/index.php?entry/10-schuldscheindarlehen/

[3] Finance.Magazin Schuldschein update 032019, besucht am 25.11.2019. https://www.finance-magazin.de/research/finance-datenbank/#c1578601

[4] “Schuldscheinmarkt im Jahr 2018: Hohes Gesamtvolumennach Belebung zur Jahresmitte”, Artikel, Capmarcon Capital, 21.10.2019.

[5] “Schuldschein: Starkes 3. Quartal Dank hohem Liquiditätsbedarf”, Artikel, Capmarcon Capital, 21.10.2019.

[6] Euro private placement website, Overview, beuscht am 02.12.2019. http://www.euro-privateplacement.com/


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