Bilanzierung von Green Bonds

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Einführung

Im Europäischen Wirtschaftsraum wächst das Ausmaß an Regularien und Rahmenwerken, die sich mit Nachhaltigkeit und Klimakonformität befassen, beständig an. Dabei geht es insbesondere um die Bereiche Umwelt (Environment), Soziales (Social) und verantwortungsvolle Unternehmensführung (Governance), die gemeinhin unter dem Begriff ESG zusammengefasst werden. Ausgehend von der Verabschiedung der CSR-Richtline[i] im Jahr 2014 durch das Europäische Parlament, welche Anforderungen für nicht-finanzielle Themen wie Umwelt-, Sozial- und Arbeitgeberbelange formulierte, haben ESG-konforme politische Maßnahmen in den vergangenen Jahren zunehmend an Fahrt aufgenommen. Dabei wird das Finanzsystem in den Richtlinien als Schlüsselbranche in den Transformationsbestrebungen zu einer nachhaltigeren Wirtschaft hervorgehoben. Die Europäische Kommission initiierte 2018 über ihren EU-Aktionsplan „Finanzierung des nachhaltigen Wachstums“ im Rahmen der EU-Taxonomie ein Klassifizierungssystem für ökologisch-nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten, sowie weitere Standards und Labels für nachhaltige Finanzprodukte.[ii] Damit kam die Kommission den Bedürfnissen vieler Anleger und Emittenten entgegen, die bzgl. des Nachhaltigkeitsgrades von Finanzprodukten Ungewissheit empfanden. Welche Auswirkungen eigenständige Auslegungen und übertriebene oder irreführende ESG-Aussagen haben können, wird in der Öffentlichkeit immer wieder deutlich. Fälle wie der Verdacht auf „Greenwashing“ bei einem namhaften, deutschen Fondsanbieter oder bei einem großen, deutschen Flughafen stellen für Marktteilnehmer ein erhebliches Reputationsrisiko dar.

Wie schwierig die Auseinandersetzung mit ESG-Themen ist, zeigt die kontrovers geführte Diskussion um einen neuen Entwurf der EU-Kommission von Anfang 2022 für eine Ergänzung der Taxonomie-Verordnung, die finanzielle Investitionen in Atomkraftwerke und Erdgasanlagen fördern soll.[iii] Aktuell steht die Finanzbranche vor folgenden Entwicklungen und Herausforderungen:

  • Zunehmendes Angebot sowie zunehmende Nachfrage nachhaltiger Finanzprodukte

  • Sich schnell ändernde regulatorischen Anforderungen im Finanzsektor von unterschiedlichen Institutionen

  • Ungewissheit vieler Anleger und Emittenten bzgl. des Nachhaltigkeitsgrades von Finanzprodukten und der Bewertung von ESG-Risiken im Geschäftsprozess

  • Ungeklärte Situation, wie die Bilanzierung grüner Finanzinstrumente erfolgen soll

In der Veröffentlichung „Sustainable Finance – Änderungen in der MiFID ||“[iv] sind wir bereits auf die Bedeutung der Marktentwicklung hinsichtlich „grüner“ Finanzprodukte eingegangen und haben die daraus resultierten Veränderungen regulatorischer Anforderungen für das Risikomanagement, im Beratungsprozess und in der Zielmarktbestimmung und -überprüfung erläutert. Hinsichtlich Herausforderungen in der Quantifizierbarkeit nachhaltiger Finanzprodukte und in der Bewertung von ESG-Risiken im Geschäftsprozess verweisen wir auf das Insight „Sustainable Finance – Auswirkungen auf das Risikomanagement“.[v] Mit der vorliegenden Veröffentlichung fokussieren wir uns auf einen weiteren Aspekt: der Bilanzierung grüner Finanzinstrumente. Wir möchten einen Überblick zum aktuellen Stand geben und Pläne darlegen, wie auf nationaler und internationaler Ebene grüne Finanzinstrumente sinnvoll in den Büchern abzubilden sind.

Bilanzierung

Bislang liegen noch keine gesonderten Rechnungslegungsvorschriften nach IFRS oder HGB vor, die Investoren und Emittenten klare Handlungsanweisungen geben, wie grüne Finanzierungen abzubilden sind.

Am 03.November 2021 hat die IFRS-Stiftung entschieden, ein eigenes Board zu implementieren, welches diese Fragen auf Ebene der internationalen europäischen Rechnungslegung klären soll: das ISSB (International Sustainability Standards Board). Dieses wird neben dem IASB (International Accounting Standards Board) etabliert sein und eng mit diesem zusammenarbeiten.

Abbildung 1: Eingliederung des ISSB in bestehende Struktur

Als Starthilfe diente die Arbeitsgruppe TRWG (Technical Readiness Working Group) innerhalb des IASB, welche bereits zwei Dokumente (Prototypen) öffentlich bereitgestellt und damit eine umfangreiche Vorarbeit geleistet hat. Der erste Prototyp gibt allgemeine Vorgaben für die Angabe nachhaltiger Finanzinformationen und ergänzend dazu befasst sich der zweite Prototype explizit mit Vorgaben zur Klimaberichterstattung sowie Branchenspezifika.[vi] Im folgenden Abschnitt geben wir einen Überblick zu den beiden Prototypen. Abbildung zwei veranschaulicht die Kernelemente beider.

Abbildung 2: IFRS Proposed Sustainability Disclosure Standards basierend auf dem Prototyp “General Requirements for Disclosure of Sustainability-related Financial Information” und “Climate-related Disclosures Prototype”

Prototyp für allgemeine Vorschriften - General Requirements for Disclosure of Sustainability-related Financial Information

Der Prototyp „allgemeine Vorschriften“ für nachhaltigkeitsbezogene Finanzinformationen orientiert sich an IAS 1 (Darstellung des Abschlusses) und gibt eine Struktur vor, wie wesentliche Nachhaltigkeitsinformationen offenzulegen sind. Prinzipiell sollen berichtende Unternehmen Angaben über ihre ESG-Risiken und -Chancen machen und damit ihren internen und externen Stakeholdern entscheidungsnützliche Informationen in Hinblick auf eine Unternehmenswertbeurteilung geben.

Zu den wesentlichen Informationen, die das berichtende Unternehmen offenlegen soll, zählen Chancen und Risiken, die sich aus den Bereichen Klima, Arbeitsbedingungen, Menschenrechte, Gesellschaft, Wasser und Artenvielfalt ergeben. Finanzinformationen sind als wesentlich einzustufen, wenn das Weglassen eine falsche Darstellung oder Verschleierung dieser Informationen bedeutet und sich auf die Entscheidungen der Adressaten auswirkt. Die Wesentlichkeitsauslegung muss im unternehmensspezifischen Kontext betrachtet werden und kann im Zeitverlauf variieren. Dementsprechend legt sich der Standard hier nicht fest.

Inhaltliche Anforderungen stellt der Prototyp, in dem er Zielsetzungen und Empfehlungen zur Zielerreichung gibt, die für die Geschäftstätigkeit des berichtenden Unternehmens entscheidend sind. Ziele und Offenlegungspflichten werden in vier Kategorien Governance, Strategie, Risikomanagement und Kennzahlen und Ziele dargelegt und sind in Abbildung zwei durch Fragestellungen exemplarisch dargestellt.

Hinsichtlich der Reporting-Frequenz wird im Prototyp beschrieben, dass die Frequenz mindestens so hoch sein soll, wie auch für den Abschlussbericht. Andererseits sollen auch Interims-Reportings möglich sein. Diese müssen jedoch nicht so ausführlich ausgeführt werden, wie die jährlichen Reports, und sollten sich auf Veränderungen gegenüber dem letzten Report konzentrieren.

Die Offenlegung der Informationen erfolgt im Rahmen des normalen Abschlussberichts. Die genaue Stelle kann allerdings variieren und ist (noch) nicht durch den Prototyp festgelegt. Denkbar wäre eine Offenlegung als Teil des Management-Kommentars oder über Referenzierungen auf einen dedizierten Report, der zu gleichen Bedingungen hinsichtlich Erscheinung und Verfügbarkeit publiziert wird, wie auch der Abschlussbericht. Außerdem wird auf die Bedeutung von Schätzunsicherheiten eingegangen. Nachhaltigkeitsfaktoren sind in der Regel mit einem hohen Grad an Unsicherheit behaftet. Umso wichtiger ist ein guter Schätzer für ESG-Metriken. Hier gilt es ebenfalls, die Interdependenz zur Materialität zu beachten.

Klimaprototyp - Climate-related Disclosures Prototype

Während der erste Prototyp noch allgemein gehalten ist und sich auf alle ESG-Komponenten bezieht, behandelt der zweite Prototyp explizit klimabezogene Sachverhalte. Ziel ist eine Offenlegung des Umgangs eines Unternehmens mit klimabezogenen Chancen und Risiken und damit einer besseren Einschätzung der Auswirkungen auf den Unternehmenswert seitens der Anleger. Dazu zählen:

  • Physische Risiken als Ergebnis des Klimawandels

  • Übergangsrisiken aus dem Übergang zu einer CO2 ärmeren Wirtschaft

  • Klimabezogene Chancen

Interessant sind hier insbesondere die Vorgaben für konkrete Metriken, mit denen die Klimaabhängigkeit und das Klimarisiko eines Unternehmens dargestellt werden können. So sieht der Prototyp eine verpflichtende Berichterstattung branchenübergreifender (§13) und branchenspezifischer (Anhang B) Kennzeichen vor.

Zu den branchenübergreifenden Kennzahlen zählen:

  • Treibhausgasemissionen in Tonnen CO2-Äquivalent gemäß dem Greenhouse Gas Protocol

  • Betrag und Prozentsatz der Vermögenswerte/Geschäftstätigkeiten, die von Übergangsrisiken betroffen sind

  • Betrag und Prozentsatz der Vermögenswerte/Geschäftstätigkeiten, die durch physische Risiken betroffen sind

  • Anteil der auf klimabezogene Chancen ausgerichteten Vermögenswerte, Umsätze, Geschäftsaktivitäten als Betrag oder Prozentsatz

  • Betrag des Kapitaleinsatzes für klimabezogene Chancen/Risiken (in Berichtswährung)

  • Interne CO2-Preise (Angabe in Berichtswährung pro Tonne CO2-Äquivalent)

  • Anteil der Vergütung der Geschäftsleitung, der von Klimaerwägungen beeinflusst wurde (Prozentsatz, Gewichtung oder Beschreibung in Berichtswährung pro laufende Periode)

Von besonderer Bedeutung ist der Anhang B, in dem für jeden Industriesektor aufgelistet wird, was relevante klimabezogene Offenlegungssachverhalte sind und welche Metriken hierfür als sinnvoll erachtet werden.

Bspw. werden für Geschäftsbanken die folgenden Angaben gemacht:

Abbildung 3: Metriken für Geschäftsbanken

Banken sind bereits dazu übergegangen, im Rahmen des Kreditanbahnungsprozesses, eigene Analysen für ESG-Sachverhalte eines Deals zu erstellen und in der Kreditvorlage zu berücksichtigen.

Wie schon im Prototyp der „Allgemeinen Vorschriften“ gibt auch der „Klimaprototyp“ kein Vorschlag für den Zeitpunkt der Gültigkeit. Die Prototypen sollen als Diskussionsgrundlage und als Leitlinie für weitere Ausarbeitungen dienen, die voraussichtlich in einem eigenständigen IFRS Standard münden werden (vgl. Abb. 2).

Selbst dann sind die vom IASB veröffentlichten IFRS allerdings nicht unmittelbar durch europäische Unternehmen anzuwenden. Hierzu müssen sie erst von der EU-Kommission zur Anwendung freigegeben werden. Der Billigungsprozess der EU ist im folgenden Schaubild dargestellt.

Abbildung 4: Endorsement für IFRS-Rechnungslegungsstandards

Da in naher Zukunft nicht mit einem Endorsement zu rechnen sein kann, sind Investoren und Emittenten gezwungen, sich an bestehenden Verordnungen zu orientieren. Dazu zählen im Wesentlichen:

  • IAS 1 (Darstellung des Abschlusses)

  • IFRS 7 (Finanzinstrumente: Angaben)

  • IFRS 9 (Finanzinstrumente)

  • IFRS 13 (Bemessung des beizulegenden Zeitwerts)

Als zentraler Leitfaden dient dabei IFRS 9 Finanzinstrumente. Dort werden Vorgaben für die Klassifizierung und die Folgebewertung finanzieller Vermögenswerte getroffen. Bevor wir uns Beispielen widmen, werden wir diesen Aspekt in dem folgenden Abschnitt Revue passieren lassen und auf ESG-Besonderheiten hinweisen.

Klassifizierung gemäß IFRS 9

Finanzielle Vermögenswerte werden gemäß den Vorgaben in IFRS 9 zum Zeitpunkt der erstmaligen Erfassung nach drei Kategorien klassifiziert. Die Klassifizierung ist entscheidend für das Vorgehen bei der Folgebewertung, d.h. für die Methode, mit der finanzielle Vermögenswerte in zukünftigen Berichtsperioden bewertet werden, nachdem sie bereits initial bei Zugang (zum beizulegenden Zeitwert/Fair Value) bilanziert wurden. Die drei Kategorien werden unterschieden gemäß einer Folgebewertung zu fortgeführten Anschaffungskosten, einer erfolgsneutralen Folgebewertung zum beizulegenden Zeitwert und einer erfolgswirksamen Folgebewertung zum beizulegenden Zeitwert. Wertänderungen für fortgeführte Anschaffungskosten und erfolgswirksame Fair-Value-Bewertungen finden direkt Eingang in die traditionelle Gewinn- und Verlustrechnung, während Wertänderungen für erfolgsneutrale Fair-Value-Bewertungen in das sogenannte sonstige Ergebnis geschrieben werden. Das sonstige (Gesamt-)Ergebnis ist eine Komponente der Gesamtergebnisrechnung (vgl. Abb. 5), in die Erfolge/Aufwendungen abgebildet werden, die (noch) nicht realisiert wurden und somit für eine bestimmte Zeit oder dauerhaft der Gewinn- und Verlustrechnung vorenthalten werden. Für die Bewertung zu fortgeführten Anschaffungskosten wird die Effektivzinsmethode angewandt, während in den anderen beiden Fällen zum Fair Value bewertet wird.

Abbildung 5: Wesentliche Bestandteile des Abschluss nach IFRS

In welche der drei Kategorien ein Vermögenswert fällt, ist in erster Linie abhängig von dem Geschäftsmodell bzw. der Handelsabsicht, die mit dem Vermögenswert assoziiert wird, sowie den Eigenschaften der vertraglichen Zahlungsströme. Wenn die Zielsetzung des Geschäftsmodells darin besteht, die Vermögenswerte aus einem bestimmten Portfolio dauerhaft zu halten, um ihre vertraglichen Zahlungsströme einzunehmen und eben diese Zahlungsströme vertraglich so gestaltet sind, dass sie zu festgelegten Zeitpunkten nur Zins- und Tilgungszahlungen auf den ausstehenden Kapitalbetrag darstellen, so ist eine Folgebewertung zu fortgeführten Anschaffungskosten gefordert. Ist das Geschäftsmodell eines Portfolios hingegen darauf ausgerichtet, finanzielle Vermögenswerte aus diesem nicht nur zu halten, sondern potenziell/teilweise auch zu verkaufen, so erfolgt eine Bewertung im sonstigen Ergebnis.

Eine Illustration der Bewertungsklassifizierung findet sich in Abbildung 6: Klassifizierungsbaum nach IFRS 9.

Abbildung 6: Klassifizierungsbaum nach IFRS 9

Die Zahlungsstrombedingung wird auch als SPPI-Kriterium (solely payments of principal and interest) bezeichnet und wird insbesondere von einfachen Kreditvereinbarungen erfüllt. Die Zinskomponente berücksichtigt dabei in erster Linie den Zeitwert des Geldes, das Ausfallrisiko und eine Gewinnmarge. Allerdings können auch andere Kreditrisiken und Kosten berücksichtigt sein, ohne zwangsläufig das SPPI-Kriterium zu verletzen. Auch bedingte Zahlungsströme, die keinen deterministischen Verlauf haben, sondern deren Verlauf von vertraglich festgelegten Faktoren abhängt, stehen nicht pauschal im Widerspruch zu einer Erfüllung des SPPI-Kriteriums.

Bezogen auf grüne Finanzierungen ist es wichtig zu unterscheiden, ob eine Abhängigkeit zwischen einer aufgrund von vertraglich implementierten Nachhaltigkeitsfaktoren bedingten Cashflow-Veränderung und dem Kreditausfallrisiko besteht. Dies ist insbesondere in Abgrenzung zum Investitionsrisiko zu bewerten, d.h. wenn primär eine Abhängigkeit zwischen dem vertraglich implementierten Nachhaltigkeitsfaktor und dem Investitionsrisiko besteht. Die Abhängigkeit zum Kreditausfallrisiko stünde dem SPPI-Kriterium nicht entgegen, die zum Investitionsrisiko hingegen schon.

Diese Frage kann nicht pauschal für alle grünen Finanzierungen beantwortet werden. Stattdessen muss eine Analyse erfolgen, ob der jeweilige finanzielle Vermögenswert das SPPI-Kriterium erfüllt. Als Grundlage können unter anderem die folgenden Kriterien herangezogen werden:

  • Art des finanzierten Vermögenswertes

  • Besicherung

  • Spezifität der Nachhaltigkeitsfaktoren

  • Art des Kreditnehmers

Zu dem letzten Punkt stellt sich die Frage, ob ein direkter Zusammenhang zwischen Geschäftsbetrieb des Emittenten und dem spezifizierten Nachhaltigkeitsfaktor besteht. Bei einem Stromerzeuger als Emittenten wäre dies beispielsweise anzunehmen, bei einem Vermögensverwalter hingegen nicht.

Ist das SPPI-Kriterium verletzt, so muss in der Regel – Ausnahmen werden in den Beispielen unten aufgeführt – eine Folgebewertung per FVPL erfolgen, d.h. Veränderungen sind sofort erfolgswirksam zu vereinnahmen und somit GuV-wirksam. In diesem Fall sind die Vorschriften von IFRS 13 zu beachten. Insbesondere sind in diesem Kontext die Auswirkung von ESG-Faktoren auf FV-Bewertung und die FV-Hierarchie relevant. 

Auch der Einfluss auf die erwarteten Kreditverluste gemäß IFRS 9 ist zu beachten und zu bewerten. Dies gilt insbesondere für die Wertminderung und die Bildung von Risikovorsorge.

Bilanzierung von Green Bonds an zwei Beispielen

Im Folgenden betrachten wir vier verschiedene Arten von Green Bonds und gehen zunächst auf deren Begrifflichkeit ein. Anschließend folgen zwei Beispiele zur Bilanzierung aus Sicht eines Investors.

Green Bonds sind Anleihen, deren Emissionserlöse ausschließlich zur anteiligen oder vollständigen Finanzierung geeigneter grüner Projekte verwendet werden. Die am meisten verbreiteten Leitlinien wurden durch die International Capital Market Association (ICMA) in Form der „Green Bond Principles“ eingeführt.[vii] Gemeinsam mit den „Social Bond Principles“, den „Sustainability Bond Guidelines“ und den zuletzt eingeführten „Sustainability-Linked Bond Principles“ bilden sie eine nützliche Orientierungshilfe für alle Marktteilnehmer im ESG-Umfeld. Gemäß der Green Bond Principles, auf die wir uns im Folgenden exemplarisch beschränken, können Anleihen anhand der folgenden vier Schwerpunkte bewertet werden. Von Green Bonds wird erwartet, dass sie jeden Punkt in angemessener, nachhaltiger Weise berücksichtigen.

  1. Verwendung der Emissionserlöse
    Die Verwendung der Erlöse muss einen Fokus auf Nachhaltigkeit haben. Dazu zählen beispielsweise und insbesondere Finanzierungen von Projekten in erneuerbare Energien und Anpassungen an den Klimawandel.

  2. Prozess der Projektbewertung und -auswahl
    Der Prozess der Projektauswahl muss transparent erfolgen und das nachhaltige Ziel klar hervorbringen.

  3. Management der Emissionserlöse
    Die generierten Emissionserlöse und deren (geplante) Nutzung müssen im Zeitablauf transparent dargestellt werden.

  4. Berichterstattung
    Es soll der Nutzen des ausgewählten Projektes insbesondere hinsichtlich der ökologischen/nachhaltigen Wirkung dargelegt werden.

Davon ausgehend unterscheidet die ICMA vier prinzipielle Typen von Green Bonds.

Standard Green Bond

Hierbei handelt es ich um eine konventionelle Anleihe, die für „grüne“ Zwecke verwendet wird. Es gibt ein volles Rückgriffsrecht auf den Emittenten, so dass das Kreditrating ausfällt wie für nicht-grüne Bonds.

Green Revenue Bond

Zins- und Tilgungsrückflüsse des Bonds werden ausschließlich aus den Cashflows der unterstützten Projekte geleistet (Revenues) und sind damit von deren Erfolg abhängig. Es gibt somit kein Rückgriffsrecht des Inhabers auf den Emittenten (Non-Recourse).

Green Project Bond

Der Investor ist direkt den Projektrisiken ausgesetzt. Ein Rückgriffsrecht auf den Emittenten kann vorgesehen sein, muss aber nicht.

Green Securitised Bond

Es erfolgt eine Besicherung durch „grüne“ Projekte, bspw. über Asset Backed Securities (ABS) oder Mortgage Backed Securities (MBS). Der Emittent kann mehrere vertraglich verknüpfte Finanzinstrumente verwenden, nach Ausfallrisiken segmentieren (Tranchenbildung) und somit Zahlungsausfälle zuerst anderen Finanzinstrumenten zuordnen.

Als Fallbeispiele betrachten wir einen international agierenden Investor „ESG Invest AG“, der in zwei unabhängige, unterschiedliche ESG-Finanzprodukte investieren möchten.

Das erste Finanzprodukt kommt von der „Power AG“. Dabei handelt es sich um ein großes, börsennotiertes Unternehmen aus Deutschland, welches als neuen Part ihres Geschäftsmodells die Stromerzeugung über Windkraftanlagen betreiben möchte. Um an zusätzliches Kapital zum Aufbau von Windkraftanlagen in Norddeutschland im Rahmen des Projektes „Nordwind 2“ zu gelangen, entscheidet sich die Power AG dazu, über ihre ausgewählte Bank einen Green Project Bond mit Rückgriffsrecht emittieren zu lassen. Die Emissionserlöse sollen nur in Nordwind 2 fließen und die Projektauswahl, sowie der ökologische Nutzen, werden vom Vorstand der Power AG transparent und detailliert dargestellt. Insgesamt hat das Unternehmen keine Probleme damit, die oben erwähnten Anforderungen der ICMA zu erfüllen. Die Power AG lässt dies durch eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft bestätigen, um hinreichend Kapital einholen zu können. Das Zielvolumen beträgt 100 Millionen Euro, wovon ein Anteil auf die ESG Invest entfällt.

Der Bond ist von der Gestalt, dass neben den halbjährlichen, fixen Tilgungszahlungen auch Zinszahlungen fällig sind, die in Abhängigkeit von dem Nachhaltigkeitsrating der Power AG variieren. Die Zinszahlungen setzen sich dabei zusammen aus einem Referenzzinssatz (6-Monats-EURIBOR) und einem jährlich veränderlichem Spread f(x) in Abhängigkeit von dem Nachhaltigkeitsrating x, welches in diesem Beispiel über das extern evaluierte „ESG Rating“ [viii] abgebildet wird:

Zinssatz = 6M EURIBOR + f(ESG-Rating)

Die Funktion “f” hat als Definitionsbereich die Menge {A+,A,A-, … , D+,D,D-} und setzt sich zusammen aus einem fixen Anteil und einem variablen Anteil, der umso höher ist, je schlechter das ESG-Rating ausfällt. Die unabhängige Evaluierung des Ratings erfolgt dabei in jährlichem Zyklus, jeweils rechtzeitig zum nächsten Reporting-Zeitpunkt. Die Funktion ist so ausgestaltet, dass sie das Exposure-Risiko der Investoren für Nordwind 2 sinnvoll approximiert. Dies ist möglich, da der Erfolg des Projektes stark mit dem Nachhaltigkeitsrating der Power AG korreliert.

Bei Neuzugang in die Finanzbücher und erstem Jahresabschluss des Green Bonds stellt sich für die ESG Invest AG die Frage, wie das Finanzprodukt initial zu bewerten ist.  Die ESG Invest AG plant, das Produkt über die ganze Laufzeit von 5 Jahren in ihrem Bestand zu belassen und nicht zu veräußern. Damit ist das Geschäftsmodel gemäß IFRS 9 „halten“.

Für das SPPI-Kriterium muss die ESG Invest AG untersuchen, ob der Bond im Wesentlichen einem Standard-Kreditvertrag entspricht. Dies ist dann der Fall, wenn sich die Zinszahlungen, die jährlich gemäß dem Nachhaltigkeitsrating variieren können, hinreichend gut das Kreditausfallrisiko für Nordwind 2 widerspiegeln.

Die Kopplung an den Referenzzinssatz EURIBOR stellt kein Problem für die Erfüllung des SPPI-Kriteriums dar.

Was den restlichen Anteil des Zinssatzes betrifft, wird zunächst überprüft, ob die „de minimis“ Bedingungen oder die „non-genuine“ Bedingungen gemäß Anhang B des IFRS 9 zutreffen. Wäre dies der Fall, könnte eine andernfalls aufwändige Analyse deutlich abgekürzt und die Bilanzierung zu fortgeführten Anschaffungskosten angesetzt werden. Man erkennt bei der ESG Invest AG anhand der möglichen Funktionswerte der Spread-Funktion f(x), die sich in Abhängigkeit von dem ESG-Rating von Jahr zu Jahr verändern können, sowie unter Berücksichtigung des zugrundeliegenden Kreditbetrages, dass es von einer Reporting-Periode auf die nächste zu relevanten Veränderungen der Zinsforderungen kommen kann. Dies gilt umso mehr, wenn man eine kumulative Betrachtung der gesamten Laufzeit von 5 Jahren vornimmt und feststellt, dass die Relevanzschwelle überschritten werden kann und somit wesentliche Veränderungen eintreten können. Eine „de minimis“-Einstufung gemäß IFRS 9 ist somit nicht zulässig. Die Wahrscheinlichkeit einer solchen Entwicklung ist nicht verschwindend gering (bzw. nicht „extrem selten, äußerst ungewöhnlich und sehr unwahrscheinlich“, gemäß IFRS 9 B4.1.18), so dass auch eine „non-genuine“-Einstufung gemäß IFRS 9 nicht schlagend wird.

Die ESG Invest AG setzt ihre Analyse daher wie folgt fort.

Angesichts des neuen Geschäftsbereiches der Power AG im Segment der erneuerbaren Energien geht man davon aus, dass das ESG Rating x stark mit der Leistung des Unternehmens korreliert. Als grundlegenden Sachverhalt stellt man fest, dass sich die Zinszahlungen erhöhen, sofern sich das ESG-Rating der Power AG verschlechtert.

Hinsichtlich des Investitionsrisikos konstatiert man, dass die Rückzahlung unabhängig davon ist, wie sich der Wert der geförderten Windkraftanlagen im Laufe der Zeit entwickeln wird.

Des Weiteren stellt man fest, dass die Ausfallwahrscheinlichkeit der Power AG gering ist und auch in direktem Bezug zu seinem ESG-Rating steht, da das ESG-Rating im volatilen Marktsegment der erneuerbaren Energien von potenziellen Investoren als relevante Unternehmenskennzahl wahrgenommen wird.

Der Wert von veräußerbaren Windkraftanalgen würde im Falle eines verschlechterten Ratings voraussichtlich ebenfalls leicht zurückgehen, so dass auch Auswirkungen auf den LGD nicht auszuschließen sind. Eine eindeutige Aussage kann aber aufgrund äußerer Einflüsse wie bspw. staatlicher Subventionen nicht getroffen werden.  

Trotz mancher Ungewissheit kommt die ESG Invest AG nach Analyse der Funktion f(x), Nordwind 2, sowie der Power AG selbst, im Falle eines notwendigen Rückgriffs, zu dem Schluss, dass Veränderungen der Variablen x in sinnvoller und angebrachter Weise den Spread f(x) verändern, und somit dem Kreditrisiko durch die Spread-Funktion Rechnung getragen wird.  

Insgesamt konstatiert man, dass in den Folgejahren die Bewertung der Unternehmensanleihe zu Anschaffungskosten (Amortised Cost) erfolgen kann, die initial bei Neueingang erfasst werden.

Als zweites Investment hat sich die ESG Invest AG einen Green Bond herausgesucht, der von dem Start-up-Unternehmen „Clean Automobile“ emittiert wird. Die halb-jährlichen Zinszahlungen hängen ab von einem Rohstoffindex für Lithium, das einen wesentlichen Produktions-Bestandteil der hergestellten E-Autos darstellt. Über eine Kopplung an den Index möchte das Start-up einen Teil des Risikos auf dem volatilen Lithium-Markt abschwächen und den Bond somit für risiko-averse Investoren attraktiver gestalten.

Allerdings stellen die Preisschwankungen nur einen Teil des gesamten Kreditrisikos dar. Man muss davon ausgehen, dass der Rohstoffindex nicht in ausreichendem Maße mit der Performance von Clean Automobile korreliert – die Entwicklung des ESG-abhängigen Faktors bei der Zinsberechnung kann als weitestgehend unabhängig davon betrachtet werden, so dass Veränderungen der Zinsen nur geringe Veränderungen des Kreditausfallrisikos abbilden. Das Finanzprodukt muss so bewertet werden, als wäre es abhängig von dem Rohstoffpreis. Gemäß § B4.1.7A (IFRS 9) ist das SPPI-Kriterium damit verletzt und es muss automatisch eine Bewertung des Finanzprodukts zum beizulegenden Zeitwert (Fair Value) erfolgen.

In diesem Zuge muss eine Risikovorsorge gebildet und die formalen Offenlegungsvorgaben für Fair Value-Sachverhalte gemäß IFRS 13 berücksichtigt werden. Von Jahr zu Jahr sind die initialen Bewertungen im Rahmen des Jahresabschlusses zu überprüfen und ggf. zu korrigieren.

Gemäß IFRS 7 findet die Fair Value-Bewertung dieses Green Bonds Eingang als Teil einer speziellen Klasse von Finanzprodukten (Green Bonds) in den Anhang des Jahresabschlusses.

Wie Finbridge Sie unterstützt

  • Als langjähriger verlässlicher Partner bei fachlichen Umsetzungsprojekten bringen wir unser Wissen auf breiter Basis für Analyse, Umsetzung und Begleitung Ihrer Projekte mit

  • Gemeinsam mit Partnern beleuchten wir Auswirkungen der ESG-Publikationspflichten für den Kreditprozess im interaktiven, vertrauensvollen Austausch mit unseren Kunden:
    https://www.finbridge.de/webinar-kreditvergabe-und-esg

  • Fachliche und technische Umsetzungen zur Einführung von IFRS 9 wurden bereits erfolgreich abgeschlossen. Wir greifen auf Erfahrungen zurück und können flexibel auf Kundenwünsche eingehen. Eine gesamtheitliche Betrachtung von regulatorischen und bilanziellen Fragestellungen unter Berücksichtigung der IT-Struktur ist für uns selbstverständlich

  • Als Fachberatung beobachten wir kontinuierlich Entwicklungen in der internationalen Rechnungslegung. Endorsements und Kommentierungen bezüglich IFRS 7, 9 und 13 werden von uns analysiert und fortlaufend kommuniziert

Quellen und Referenzen

[i] CSR-Richtlinie 2014/95/EU,
https://bit.ly/3H7crmp
Die CSR-Richtlinie wurde 2014 durch das Europäische Parlament und den Mitgliedstaaten der EU verabschiedet mit dem Ziel einer Erweiterung der Berichterstattung von kapitalmarktorientierten Unternehmen, Versicherungsunternehmen, Finanzdienstleistungsinstituten und Kreditinstituten.

[ii] EU-Kommission "Aktionsplan: Finanzierung nachhaltigen Wachstums“,
https://ec.europa.eu/transparency/documents-register/detail?ref=COM(2018)97&lang=de

[iii] Pressemitteilung der europäischen Kommission vom 01.Januar 2022,
https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/ip_22_2

[iv] Sustainable Finance – Änderungen in der MiFID II,
https://www.finbridge.de/aktuelles/2021/5/4/sustainable-finance-aenderungen-in-der-mifid-ii

[v] Sustainable Finance – Auswirkungen auf das Risikomanagement,
https://www.finbridge.de/aktuelles/2020/7/17/sf-auswirkungen-auf-das-risikomanagement

[vi] Für mehr Informationen zum Prototyp “Allgemeine Vorgaben”:
https://www.ifrs.org/content/dam/ifrs/groups/trwg/trwg-general-requirements-prototype.pdf
und zum Klimaprototyp:
https://www.ifrs.org/content/dam/ifrs/groups/trwg/trwg-climate-related-disclosures-prototype.pdf

[vii] Vgl. Green Bond Principles,
https://www.icmagroup.org/sustainable-finance/the-principles-guidelines-and-handbooks/green-bond-principles-gbp/

[viii] Einen Überblick über die wichtigsten ESG-Ratings auf dem Markt liefert der folgende Insight:
https://www.finbridge.de/aktuelles/2022/5/10/sf-esg-ratings

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Jasmin Pleban
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